
Der Zeitraum
zwischen dem gescheiterten Indienfeldzug Alexanders des Großen
(327 - 325 v.Chr.) und den Invasionen hunnischer Stämme in
Nordindien (um 460 - 530 n.Chr.) umfasst die Geschichte zweier Großreiche
und einer von den Folgen weiträumiger Völkerwanderungen
geprägten »Zwischenphase«. In diesen Jahrhunderten
wurden nicht nur wesentliche Fundamente der nordindischen Kulturen
gelegt, sondern auch große zentralasiatische Volksgruppen
assimiliert.
Teile der Geschichte dieses Zeitraumes bleiben jedoch aufgrund einer
ungünstigen Quellenlage weitgehend im Dunkeln. Die Rekonstruktion
der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen
stützt sich in erster Linie auf Inschriften, Münzen und
Siegel, die jedoch keineswegs für alle Jahrhunderte und Regionen
gleichmäßig vorliegen. Von eingeschränktem Quellenwert
für ein vorwiegend auf die politische Geschichte ausgerichtetes
Forschungsinteresse sind Texte, die entweder wie die Staats- und
Rechtslehrbücher normati- ven oder wie die erzählende
Literatur legendenhaften bzw. verherrlichenden Charakter haben.
Auch die Berichte westlicher antiker Autoren sind mit Vorsicht zu
betrachten, da fraglich ist, inwieweit diese die Phänomene,
die sie beschreiben, wirklich verstanden. Aufschlussreich sind dagegen
nicht selten die Ergebnisse archäologischer Untersuchungen.
Das
Mauryareich
Der politische Aufstieg der Maurya steht vermutlich in engem Zusammenhang
mit dem Sieg des Dynastiebegründers König Candragupta
(Tschandragupta) Maurya über Teile der Truppen Alexanders,
die dieser nach seinem durch eine Meuterei der erschöpften
Soldaten erzwungenen Rückzug im Industal zurückgelassen
hatte. Candragupta eroberte in der Folge dieses Sieges Magadha,
das seit dem späten 6. (oder, abhängig von der Datierung
des Buddha, 5.) Jahrhundert v.Chr. Machtschwerpunkt in Nordindien
war, und usurpierte schließlich um 320 v.Chr. den Thron der
Nandadynastie, unter der Magadha seit etwa 365 v.Chr. seinen Einflussbereich
weiter ausgedehnt hatte. In den Jahren 305 bis 303 v.Chr. gelang
es Candragupta, einen Angriff Seleukos' I. Nikator, der das nach
ihm heute Seleukidenreich in Vorderasien, einen der Nachfolgestaaten
des Alexanderreiches, begründet hatte, im Pandschab abzuwehren
und diesem König in einem Friedensvertrag Belutschistan (in
der klassischen Antike Gedrosien genannt) und Teile des heutigen
Afghanistan (Arachosien) abzunehmen. Die Beziehungen zwischen den
Seleukiden und den Maurya scheinen sich in der Folgezeit normalisiert
zu haben; die langjährige Anwesenheit des Botschafters Megasthenes
am Königshof in Pataliputra (dem heutigen Patna im Gliedstaat
Bihar) und der Austausch von Gesandten mit der hellenistischen Welt
in späteren Jahrzehnten belegen ein relativ konfliktfreies
Nebeneinander der Nachbarreiche.
Megasthenes'
Bericht, der nur noch in Auszügen bei griechischen und römischen
Autoren, vor allem in den Werken der griechischen Schriftsteller
Strabon, Diodor und Arrian, vorliegt, beschreibt das Mauryareich
unter Candraguptas Herrschaft als einen in der Umgebung der Metropole
zentral verwalteten, in anderen Teilen des Reiches jedoch nur lose
strukturierten Staat, in dessen Grenzen sich auch eine Reihe autonomer,
nicht der Herrschaft des Mauryakönigs unterworfener Territorien
befand. Auf eine solche Heterogenität lassen auch die Inschriften
König Ashokas, auf die noch eingegangen wird, schließen.
Ein anderes Bild zeichnet dagegen das »Arthashastra«,
ein dem Brahmanen Kautilya zugeschriebenes Staatslehrbuch, das zumindest
in wesentlichen Teilen vermutlich ebenfalls während der Regierungszeit
Candragupta Mauryas entstand. In diesem Werk, das auch heute noch
einer Vielzahl von Historikern als Modell des Mauryareiches dient,
wird der Staatsaufbau als einheitlich und zentralistisch beschrieben.
Inwieweit hier jedoch tatsächlich die politische Realität
im Indien jener Jahrzehnte geschildert wird oder doch eher das Staatsideal
des Autors seinen Ausdruck findet, bleibt für einen großen
Teil der im »Arthashastra« behandelten Themen eine offene
Frage. Jedoch gibt Kautilya, welcher der indischen Tradition zufolge
Minister Candraguptas war, wertvolle Informationen über die
zeitgenössischen Idealvorstellungen von Königtum und Königsherrschaft,
die weit über die Mauryazeit hinaus wirksam waren.
Über die Herrschaft von Candraguptas Sohn und Nachfolger Bindusara,
der von etwa 300 bis 272 v.Chr. regierte, ist fast nichts bekannt.
Möglicherweise kam es nach seinem Tod zu Thronfolgestreitigkeiten;
sein Sohn Ashoka jedenfalls konnte seine Königsherrschaft vermutlich
erst nach einem Interregnum im Jahre 269 oder 268 v.Chr. antreten.
Bereits zu Lebzeiten seines Vaters soll Ashoka jedoch Unterkönig
in Ujjain im heutigen Gliedstaat Madhya Pradesh gewesen sein.
Die Herrschaft
Ashokas
Die politische Geschichte der rund 35-jährigen Königsherrschaft
Ashokas ist trotz einer größeren Zahl von Inschriften,
die er vorwiegend auf Felsen und Steinsäulen an exponierten
Stellen in verschiedenen Sprachen und Schriften anbringen ließ,
nur in Umrissen rekonstruierbar. Eines der wenigen bekannten Ereignisse
ist die vermutlich im Jahre 260 v.Chr. mit einem verlustreichen
Krieg einhergegangene Eroberung Kalingas, eines Reiches im heutigen
Gliedstaat Orissa. In seinem 13.Felsenedikt, das in Kalinga selbst
allerdings fehlt, reflektierte Ashoka öffentlich die Folgen
dieser Eroberung und brachte seine Reue über das Blutvergießen
zum Ausdruck. Zugleich verkündete er in dieser Inschrift ein
neues außenpolitisches »Programm«: In Zukunft
solle nicht mehr mit Waffengewalt, sondern mithilfe des »dharma«
erobert werden. »Dharma« ist ein komplexer, kaum in
europäische Sprachen zu übersetzender Begriff, der sowohl
Recht und Gesetz als auch (religiöse und gesellschaftliche)
Pflichterfüllung, Rechtschaffenheit und im buddhistischen Kontext
die Lehre des Buddha bezeichnet. Ein großer Teil der Inschriften
Ashokas, die öffentlich verlesen wurden, befasst sich mit dem
»dharma« und seiner Verbreitung, einem besonderen Anliegen
des Königs, wobei »dharma« hier weit gefasst als
ethisch richtiges Handeln verstanden und nicht in explizit buddhistischem
Sinne verwendet wird.
Tatsächlich gibt es keine Anhaltspunkte für weitere Angriffskriege
während der Regierungszeit Ashokas. Dafür belegen einige
Inschriften die Entsendung von Beamten, die speziell für die
Ausbreitung des »dharma« zuständig waren, aber
wahrscheinlich auch seine Einhaltung überwachen sollten. Eine
große Rolle im Rahmen dieser Dharmapolitik spielte die erhebliche
Einschränkung der Tötung von Tieren. So verbot Ashoka
bereits in seinem 1.Felsenedikt Tieropfer, die in brahmanistischen
Kulten praktiziert wurden. Spätere Inschriften wiederholen
solche Verbote und stellen im Einzelnen aufgelistete Tierarten unter
Schutz. Andere Inschriften betonen Ashokas Willen zu einer Art »Wohlfahrtspolitik«,
der in der explizit väterlichen Fürsorge für seine
Untertanen seinen deutlichsten Ausdruck fand. Dabei wurden auch
konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität
der Untertanen angekündigt, so zum Beispiel die Einrichtung
von »Gesundheitszentren«, der Ausbau der Infrastruktur,
das weiträumige Pflanzen von Bäumen und der Anbau von
Heilkräutern. In einem anderen Edikt gab Ashoka Empfehlungen
für die humane Behandlung von Bediensteten und Gefangenen.
Einige der Inschriften Ashokas enthalten Instruktionen für
Beamte, wobei besonderer Wert auf eine unparteiische, gerechte Amtsausübung
gelegt wurde. Aber wenn sich Ashoka auch väterlich gab, so
verlor er dennoch nicht die Staatsräson aus den Augen und drohte
potenziellen Widersachern mit Sanktionen, wie beispielsweise Angehörigen
von Stämmen, die seiner Herrschaft nicht unterworfen waren.
Diesen gegenüber äußert er im 13. Felsenedikt, er
wolle ihnen trotz aller zuvor betonten Reue seine Macht verkünden,
»damit sie sich zurückhalten mögen und nicht getötet
werden«.
Aufgrund
solcher Anweisungen, aber auch aufgrund der weiträumigen Verteilung
der Inschriften in Nord-, Zentral- und Südindien und mit Blick
auf die Entwürfe des »Arthashastra« wurde immer
wieder vermutet, dass es sich bei Ashokas Reich um ein zentralistisch
organisiertes System gehandelt habe. Ashoka habe über ein großes
Potenzial an Beamten verfügt, das die Durchsetzung seiner Politik
bis an die Peripherie des Mauryareiches ermöglicht habe. Seine
Regierungsweise könne daher als »paternalistischer Despotismus«
gekennzeichnet werden (Romila Thapar). Dieser Vorstellung wurde
jedoch auch widersprochen: Das »Arthashastra« sei wegen
seiner unsicheren Datierung und wegen seines normativen Charakters
von zweifelhaftem Quellenwert. Die noch erhaltenen Inschriften gäben
nur vereinzelte Informationen über die Organisation des Reiches;
die Funktion der meisten der in den Edikten erwähnten Institutionen
und Ämter bleibe unklar. Zudem falle auf, dass die Mehrzahl
der erhaltenen Inschriften sich an den Rändern des Mauryareiches
gefunden hätten. Diese Tatsache deute darauf hin, dass Ashoka
Auflösungserscheinungen an der Peripherie habe entgegenwirken
und seinen persönlichen Herrschaftsanspruch gerade in nicht
mehr direkt von der Zentrale verwalteten Gebieten habe betonen wollen.
Darüber hinaus sei verschiedenen Bevölkerungsgruppen in
Edikten ein Sonderstatus eingeräumt worden, was auf eine Dezentralisierung
der Verwaltung hinweise. Ashoka habe sich in seinen Edikten zwar
als absoluter Herrscher präsentiert, die konkrete Ausübung
der Herrschaft habe er jedoch weitgehend an seine Beamten delegiert.
Angesichts der großen Ausdehnung und der vermutlich vergleichsweise
geringen infrastrukturellen Ausstattung des Mauryareiches sei eine
zentrale Verwaltung ohnehin nur schwer vorstellbar. Ashoka habe
wahrscheinlich nur das Kerngebiet Magadha selbst verwaltet, während
entferntere Reichsteile Beamten mit weit reichenden Befugnissen
unterstanden hätten (Gérard Fussman). Auch Romila Thapar
geht in neueren Arbeiten zwar von einer straffen Administration
des »metropolitanen« Gebiets aus, betont jedoch ebenso
die destabilisierende Rolle einer politisch und wirtschaftlich nur
ungenügend eingebundenen Peripherie.
Weitgehende Einigkeit herrscht in der Forschung über die herausragende
Stellung des »dharma« und des Anliegens seiner Verbreitung
in Ashokas Politik. Diese steht wohl in einem engen Zusammenhang
mit Ashokas Hinwendung zum Buddhismus, die häufig als Bekehrung
in der Folge des blutigen Kalingakrieges dargestellt wird. Wahrscheinlich
handelte es sich jedoch nicht um eine regelrechte Konversion, sondern
um eine schrittweise Annäherung an die buddhistische Lehre.
Aufschluss darüber geben insbesondere solche Inschriften, die
an die buddhistische Gemeinde gerichtet sind und den Charakter persönlicher
Glaubensbekenntnisse haben. Inschriften belegen außerdem Pilgerfahrten
Ashokas zu einigen heiligen Stätten des Buddhismus (Bodh Gaya,
Lumbini). Schließlich überliefert das vermutlich um 240
v.Chr. zu datierende Schismenedikt Ashokas Bemühungen um die
Einheit der Gemeinde: Er drohte darin Dissidenten mit Ausschluss
aus dem Orden.
Um Ashokas Tod ranken sich in der buddhistischen Literatur einige
Legenden. Im »Ashokavadana«, einem »Heiligenleben«
des Königs, wird berichtet, Ashoka habe gegen Ende seines Lebens
seinen Enkel als Thronfolger eingesetzt (nach den meisten anderen
Quellen kam jedoch sein Sohn Kunala an die Herrschaft). Seinen gesamten
Besitz habe er an ein Kloster verschenkt, bis er schließlich
von seinem Nachfolger praktisch entmündigt worden sei, der
damit den Staatsschatz vor Ashokas Freigebigkeit habe schützen
wollen.
Schon bald nach Ashokas Tod (vermutlich im Jahre 232 v.Chr.) zerfiel
das Mauryareich. Die ungünstige Quellenlage erlaubt keine zuverlässige
Rekonstruktion der politischen Geschichte unter den Nachfolgern
Ashokas. Möglicherweise kam es nach seinem Tod zu einer Reichsteilung;
die ohnehin wohl schon zu seinen Lebzeiten weitgehend selbstständigen
Randgebiete erlangten ihre Unabhängigkeit zurück. Wahrscheinlich
wurde der letzte Mauryakönig um 180 v.Chr. von Pushyamitra
Shunga, dem Begründer der Shungadynastie, ermordet.
Die
»dunkle Periode«
Bei der Suche nach Ursachen für den raschen Zerfall des Großreiches
nach Ashoka wurde gelegentlich vermutet, brahmanischer Widerstand
gegen dessen buddhismusfreundliche Politik habe das Reich zerstört.
Andere Forscher sahen in Ashokas pazifistischen Neigungen die Wurzel
der nachhaltigen Schwächung des Mauryareiches. Dieser These
wurde entgegengehalten, dass Ashoka bei der Durchsetzung seiner
Dharmapolitik keineswegs vor Gewaltanwendung zurückgeschreckt
sei. In der neueren Forschung werden vor allem die oben erwähnten
strukturellen Probleme verantwortlich gemacht; auch die im ideologischen
und politischen Bereich sehr starke Bindung an die Herrscherpersönlichkeit
Ashokas mag nach dessen Tod zu einem schnellen Niedergang des Reiches
beigetragen haben.
Die Shunga standen dem Brahmanismus nahe; unter Ashoka verbotene
Tieropfer wurden wieder eingeführt. Dennoch scheinen die Shunga
ihre buddhistischen Untertanen nicht nur unbehelligt gelassen, sondern
sogar gefördert zu haben, wie die Erweiterung buddhistischer
Heiligtümer unter dieser Dynastie vermuten lässt.
Abgelöst wurden die Shunga von den Kanva, denen jedoch nur
eine vergleichsweise kurze Herrschaft beschieden war: Vermutlich
im Jahre 28 v.Chr. wurde der letzte Kanvakönig Susharman von
den in Zentralindien ansässigen Satavahana besiegt. Das von
Ashoka unterworfene Kalinga erlangte in der Mitte oder gegen Ende
des 1.Jahrhunderts v.Chr. unter seinem König Kharavela, der
Eroberungsfeldzüge ins nördliche, südliche und westliche
Indien unternahm, vorübergehend wieder politische Bedeutung.
Seine Hathigumphainschrift, die sich in einer großartigen
Höhlenanlage in Orissa befindet, ist eine wichtige Quelle für
die Phase zwischen den Großreichen der Maurya und der Gupta
eine Phase, die besonders in der Geschichtsschreibung der Kolonialzeit,
aber auch in der neueren indischen Geschichtsschreibung oft als
»dunkle Periode«, als Zeit der politischen Wirren und
der Fremdherrschaft, wahrgenommen wurde, obwohl die wirtschaftliche
und kulturelle Entwicklung dieser Jahrhunderte in mancher Hinsicht
die der darauf folgenden Zeit übertraf.
Die politischen Verhältnisse der Jahrhunderte zwischen dem
Zerfall des Maurya- und dem Aufstieg des Guptareiches wurden maßgeblich
bestimmt zum einen von den Indogriechen, zum anderen von zentralasiatischen
Stammesgruppen, denen es für einige Zeit gelang, weite Teile
Nordindiens unter ihren Einfluss zu bringen. Während wir über
die Geschichte der Indogriechen aufgrund zahlreicher Münzen
und dank einiger westlicher antiker Autoren relativ gut unterrichtet
sind zu nennen sind hier unter anderem die im Original zwar verlorenen,
aber in Zitaten bei anderen Autoren überlieferten Werke von
Apollodor und Pompeius Trogus sowie der anonyme »Periplus
des Erythräischen Meeres«, ist über die Herrschaft
der aus Zentralasien stammenden Shaka (Saken) und Kushana aus literarischen
Quellen nur wenig bekannt. Allerdings sind auch für ihre Geschichte
Münzen, die sich an indogriechische Vorbilder anschlossen,
eine wesentliche Quelle. Für die Kushanazeit liegen darüber
hinaus auch einzelne Inschriften vor.
Als sich in der Mitte des 3.Jahrhunderts v.Chr. Diodotos, Statthalter
der Seleukiden in Baktrien im heutigen Afghanistan, zum unabhängigen
Herrscher erklärte, begann die Vorgeschichte der griechischen
Herrschaft in Indien. Erst Euthydemos, ein Verwandter oder hoher
Beamter von Diodotos, erlangte die offizielle Anerkennung der Unabhängigkeit
Baktriens durch die Seleukiden. Vielleicht in Nachahmung Alexanders
stießen seine Nachfolger nach Indien vor. König Demetrios
I. gelang mithilfe seines Bruders Apollodoros und seines Generals
Menander möglicherweise bereits um 180 v.Chr. die Eroberung
großer Teile Nordindiens, die jedoch von dem bereits als Usurpator
des Mauryathrones vorgestellten Pushyamitra Shunga relativ bald
wieder rückgängig gemacht wurde. Ein sich ausweitender
Aufstand in Baktrien beendete das Königtum des Demetrios; der
im Pandschab und den östlich davon gelegenen, von Demetrios
eroberten Ländern als Statthalter eingesetzte Menander konnte
jedoch seine Herrschaft in Nordindien festigen, sich zum König
erheben und rund 25 Jahre regieren (um 155130 v.Chr.). Unter dem
Namen Milinda bewahrt ein buddhistischer Lehrtext (»Milindapanho«;
»Die Fragen des Milinda«) sein Andenken in Indien.
Sichtbarstes Zeichen des indogriechischen Kulturaustausches ist
die nach einer Region im heutigen Nordpakistan benannte Gandharakunst,
in der sich indische Inhalte mit hellenistisch-provinzialrömischen
Formen verbanden.
Die griechische Herrschaft in Nordindien wurde zu Beginn des 1.Jahrhunderts
v.Chr. von zentralasiatischen Stammesgruppen, über deren Wanderbewegungen
chinesische Quellen informieren, beendet bzw. abgelöst. Der
erste Stammesverband, dem es gelang, ein dauerhaftes Reich in Baktrien
und Nordwestindien zu begründen, waren die Shaka, die Saiwang
der chinesischen Texte. Von den »Weißen Hunnen«
und den von diesen vertriebenen Yuezhi immer weiter nach Westen
gedrängt, bedrohten die Shaka im 2.Jahrhundert v.Chr. zunächst
die Parther und siedelten dann im Bereich des heutigen Südafghanistan.
Im 1.Jahrhundert v.Chr. zogen Teile des Stammesverbandes weiter
nach Indien. Seine beiden ersten Könige Maues und AzesI. etablierten
die Shakaherrschaft in Baktrien und Nordwestindien. In den ersten
Jahrzehnten des 1.Jahrhunderts n.Chr. verfiel die Macht der Shaka.
Jedoch konnten im Westen Indiens noch bis ins späte 4.Jahrhundert
als ihre Nachfolger verschiedene kleinere Dynastien der Shaka-Kshatrapa
(nach dem Zerfall des Shakareiches unabhängig gewordene frühere
Provinzgouverneure) ihre Herrschaft behaupten. Den Shaka folgte
der ebenfalls ursprünglich in Zentralasien beheimatete Stammesverband
der Yuezhi, der sie rund 200 Jahre zuvor aus ihrem dortigen Siedlungsgebiet
vertrieben hatte. Angeführt wurde dieser erneut von den »Weißen
Hunnen» unter Druck gesetzte Stammesverband von den Kuishuang,
den Kushana, die unter Kujala Kadphises und seinem Sohn Wima Kadphises
große Teile Westasiens und Nordwestindiens eroberten. Ähnlich
wie bereits die Shaka übernahmen die Kushana das indogriechische
Münzsystem. Einen deutlichen Ausbau erlebte unter ihnen der
zwar schon seit dem 2.Jahrhundert v.Chr. florierende Handel mit
der mediterranen Welt, dessen Intensivierung jedoch in die Regierungszeit
des Augustus (27 v.Chr. bis 14. n.Chr.) fiel. Die politischen und
administrativen Strukturen des Kushanareiches sind jedoch wenig
bekannt.
Erhebliche Probleme bereitet nach wie vor die Datierung der Kushanakönige.
Besonders beschäftigt hat die Forschung König Kanishka,
der (möglicherweise nicht unmittelbare) Nachfolger des Wima
Kadphises, unter dessen Regierung das Kushanareich seine wohl größte
Ausdehnung erreichte. Die Datierungsvorschläge für den
Beginn der von ihm eingeführten Ära schwanken dabei zwischen
78 und 144 n.Chr. Auch die Genealogie der Nachfolger Kanishkas bleibt
mangels eindeutiger Quellenaussagen umstritten. Der letzte inschriftlich
belegte Kushanaherrscher ist Vasudeva, dessen Name den König
als Anhänger eines Hindukultes ausweist, während Kanishka
als Förderer der buddhistischen Gemeinde gilt, wobei dieser
allerdings auch iranische und griechische Gottheiten verehrte ein
Nebeneinander zahlreicher Religionen war charakteristisch für
die Blütezeit der Kushana.
Das Großreich der Kushana zerfiel wohl bald nach Kanishkas
Tod; in West- und Zentralasien und in Teilen Nordwestindiens scheinen
sich einzelne seiner Nachfolger jedoch bis ins 4.Jahrhundert n.Chr.,
in der Gegend um Kabul sogar bis ins 5.Jahrhundert n.Chr. als regionale
oder lokale Herrscher gehalten zu haben.
In der Zeit dieser stürmischen Geschehnisse im Norden nach
dem Ende des Mauryareiches setzte im zentralen und südlichen
Indien eine politische Entwicklung ein, die zur Bildung erster Staaten
in dieser Region führte. Eine ausgedehnte Kontroverse unter
Historikern rankt sich um die Frage, ob hierbei vor allem die Präsenz
der Maurya im Süden auf die einheimischen Eliten stimulierend
wirkte oder ob einheimischen Kräften die entscheidende Rolle
zukam.
Bereits in den Inschriften Ashokas erfahren wir von einigen Stammesfürstentümern
im Süden (wie den Cola, Pandya und Kerala), die später
teilweise zu bedeutenden Staaten aufsteigen sollten. Auch die Andhra
im südöstlichen Indien werden erwähnt. Diesem Volk
entstammte die spätestens im 1.Jahrhundert v.Chr. (ihre Chronologie
ist noch immer Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen) zu großer
Macht gelangende Dynastie der Satavahana, die uns bereits als Vernichter
der Kanva von Magadha begegnet ist. Besondere Bedeutung gewann dieses
Reich, welches (trotz langwieriger Auseinandersetzungen mit den
erwähnten Shaka-Kshatrapa) bis ins frühe 3.Jahrhundert
n.Chr. das politische Geschehen im Dekhan wesentlich bestimmte,
durch seine aktive Gestaltung des Seehandels mit den Häfen
des Roten Meeres und mit Südostasien. Aber die Satavahana bauten
nicht nur das maritime Handelsnetz aus, sondern auch ein Binnensystem
zur Verhandlung der Güter, das sich häufig auf buddhistische
Klöster stützte, die mit königlichen Landschenkungen
versehen an strategisch wichtigen Handelsknotenpunkten lagen. Diese
Förderung des Buddhismus schlug sich auch in der großartigen
künstlerischen Entwicklung im subkontinentalen Indien der Jahrhunderte
um die christliche Zeitenwende nieder, als zahlreiche Höhlentempel
(wie Karle, Kanheri, Bhaja und die frühen Höhlen von Ajanta)
und Stupas, das heißt Grab- oder Erinnerungsmale für
den Buddha (unter anderem Sanchi, Amaravati und Nagarjunakonda),
entstanden bzw. ausgebaut wurden.
Von den Mächten, die beim Zerfall des Reiches der Satavahana
politisch aufstiegen, sind hier besonders die Vakataka zu nennen,
die zu der nun zu behandelnden Dynastie der Gupta Heiratsverbindungen
eingingen da sie auch in kultureller Hinsicht durchaus ebenbürtig
mit dieser nordindischen Dynastie sind, spricht man für die
folgende klassische Zeit auch vom »Gupta-Vakataka-Zeitalter«.
Das
Guptareich
Über
die Geschichte des Großreiches der Gupta, einer Dynastie,
die vermutlich aus den östlichen Gebieten des heutigen Gliedstaates
Uttar Pradesh stammte, sind wir wieder besser informiert. Die Mehrheit
der Guptakönige hinterließ Inschriften und Münzen;
hinzu kommen Siegel und Überreste aus dem Bereich der bildenden
Kunst und literarische Werke.
Wie bei den Maurya liegen die genaue Herkunft und die näheren
Umstände des Aufstiegs der Guptadynastie weitgehend im Dunkeln.
Der mutmaßliche Begründer Shri Gupta und sein Nachfolger
Ghatotkaca sind uns nur aus einer Inschrift ihres Urenkels bzw.
Enkels Samudragupta bekannt. Möglicherweise gelangte erst Ghatotkacas
Sohn Candragupta I. (um 320335) zur Königsherrschaft. Von entscheidender
Bedeutung für die politische Zukunft der Gupta scheint die
Eheschließung CandraguptasI. mit Kumaradevi, einer Prinzessin
aus der Familie der Licchavi, gewesen zu sein. Die Gupta herrschten
damals vermutlich über ein beachtliches Gebiet mit dem Kernland
Magadha, das uns bereits als Machtzentrum der Maurya begegnete.
Durch die Heirat kamen wohl Nepal sowie Teile Nordbihars und Bengalens
hinzu. Die Tatsache, dass Candraguptas und Kumaradevis Sohn Samudragupta
sich auf einigen seiner Münzen als »Tochtersohn«
der Licchavi bezeichnete, in dieser Familienverbindung also eine
besondere Auszeichnung zu sehen schien, unterstreicht die politische
Bedeutung des Ehebündnisses.
Wichtigste Quelle für Samudraguptas Königsherrschaft (um
335 bis 375) ist eine lange Inschrift, die er auf einer Säule
Ashokas im heutigen Allahabad anbringen ließ. Darin erzählt
der Hofdichter Harishena, dass König Candragupta I. in einer
Versammlung Samudragupta zum Nachfolger bestimmt habe. Diese Nachfolgeregelung
fand, so deutet Harishena an, nicht bei allen Beteiligten Zustimmung,
vielmehr sollen einige der anwesenden Prinzen Enttäuschung
empfunden haben. Möglicherweise verbirgt sich hier ein Hinweis
auf Thronfolgekonflikte vor und unmittelbar nach dem Tod Candraguptas.
Der größere Teil der Allahabadinschrift befasst sich
mit Samudraguptas Eroberungen. Neben der Unterwerfung einiger Könige
in unmittelbarer Nachbarschaft des Kerngebiets seines Reiches unternahm
er einen großen Feldzug durch das zentrale und südöstliche
Indien. Obwohl die Inschrift den Eindruck erweckt, Samudragupta
habe sich auf verschiedene Weise alle im Text im Einzelnen aufgeführten
Reiche untertan gemacht, ist wohl davon auszugehen, dass sich die
faktische Herrschaft der Gupta auf Nordindien und Teile Zentralindiens
beschränkte. Könige entlegenerer Reiche erkannten vermutlich
nur nominell Samudraguptas Oberherrschaft an, blieben de facto jedoch
unabhängig.
Auch Samudraguptas Nachfolge war möglicherweise nicht konfliktfrei.
Das Sanskritdrama »Devicandragupta« berichtet über
einen wenig rühmlichen Herrscher namens Ramagupta, der wegen
seiner Schandtaten von seinem jüngeren Bruder Candragupta (II.)
ermordet wird, woraufhin dieser selbst den Thron besteigt. Nachdem
lange Zeit die Historizität Ramaguptas, der inschriftlich nicht
belegt ist, bezweifelt worden war, wird das Problem dieses mutmaßlichen
Guptaherrschers nach der Entdeckung von drei zeitgenössischen
Jaina-Bildinschriften, die einen König Ramagupta erwähnen,
neu diskutiert.
Außer Münzen sind noch einige Inschriften aus der Zeit
Candraguptas II. (um 375/380413/415) erhalten. Die Quellen belegen,
dass auch Candragupta II. bedeutende militärische Aktivitäten
entfaltete. Die sich noch immer im westlichen Indien haltenden Shaka-Kshatrapa,
zu denen sein Vater Samudragupta diplomatische Beziehungen unterhalten
hatte, wurden von CandraguptaII. endgültig besiegt. Folgenreich
war auch die Heirat seiner Tochter Prabhavatigupta mit Rudrasena
II. (um 385390), dem König der benachbarten Vakataka, die uns
bereits als Nachfolger der Satavahana begegnet sind und nun über
ein großes Reich in Zentralindien herrschten. Rudrasena II.
starb nämlich nach nur kurzer Regierung und hinterließ
zwei kleine Söhne. Seine Witwe Prabhavatigupta übernahm
die Regentschaft für die beiden Söhne; das Vakatakareich
war also bis zur Inthronisierung des älteren vermutlich im
Jahre 410 de facto Bestandteil des Guptareiches.
Candraguptas II. Regierungszeit wird oft als Höhepunkt der
Guptaherrschaft bezeichnet. Politische Stabilität ging einher
mit kultureller Blüte, wie der Zeitgenosse Faxian berichtet,
der erste bekannte chinesische Buddhist, der auf der Suche nach
Manuskripten heiliger Texte nach Indien pilgerte. In der Guptazeit
erfolgte sowohl die schriftliche Fixierung der beiden großen
Sanskritepen »Mahabharata« und »Ramayana«
als auch die Kodifizierung der jahrhundertelang mündlich tradierten
Rechtsnormen in den »Dharmashastra«. Die Puranen, heterogene
Textsammlungen mit mythologischen, philosophischen, rituellen und
genealogischen Bestandteilen, haben in großen Teilen ihre
heutige Form ebenfalls in der Guptazeit erhalten. Die Sanskritdichtung
erreichte, gefördert von den Guptakönigen, einen Höhepunkt.
Einer ihrer bedeutendsten Autoren, Kalidasa, lebte möglicherweise
am Hofe Candraguptas II. Auch der Beginn des hinduistischen Tempelbaus
und eine Glanzzeit plastischer Kunst, die ihren Ausdruck unter anderem
in der klassischen Schule von Sarnath erhielt, sind dieser Zeit
zuzuschreiben. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang schließlich
die religiöse Vielfalt, die von den Guptakönigen nicht
nur toleriert, sondern durch Landschenkungen und sonstige Stiftungen
an verschiedene Gemeinschaften auch gefördert wurde.
CandraguptasII. Nachfolger KumaraguptaI. (um 413/415; auch hier
ist nicht ganz geklärt, ob dazwischen noch für kurze Zeit
ein anderer Herrscher den Thron innehatte) war wohl ebenfalls ein
innen- wie außenpolitisch erfolgreicher Herrscher. Erst gegen
Ende seiner Regierung, aus der neben Münzen auch zahlreiche
Inschriften erhalten sind, scheint es zu Schwierigkeiten durch den
Aufstand eines Stammes aus dem östlichen Zentralindien gekommen
zu sein. KumaraguptasI. Sohn und späterem Nachfolger Skandagupta
(um 454467) gelang es jedoch, die Angriffe abzuwehren. Skandaguptas
Herrschaftsübernahme nach dem Tod seines Vaters war allerdings
vermutlich nicht problemlos: Königliche Siegel deuten darauf
hin, dass der legitime Thronfolger Purugupta hieß. Die Tatsache,
dass die genealogischen Passagen in Skandaguptas Inschriften die
eigene Mutter verschweigen, lassen vermuten, Skandagupta sei der
Sohn einer Nebenfrau Kumaraguptas I. gewesen.
Möglicherweise musste Skandagupta im Laufe seiner Regierung
auch die ersten Angriffe hunnischer Stämme abwehren, die in
der Zwischenzeit ebenso wie ihre ehemaligen zentralasiatischen Nachbarn,
die Shaka und die Kushana, nach Indien vorgedrungen waren.
Die Nachfolge Skandaguptas verliert sich im Dunkeln. Vereinzelte
Inschriften, Münzen und Siegel erwähnen eine Reihe von
Guptakönigen, über deren Geschichte bisher kaum etwas
bekannt ist. Vermutlich kam es nach Skandaguptas Tod erneut zu Konflikten
zwischen rivalisierenden Thronprätendenten. Ein Nachfolger
Skandaguptas war Budhagupta, dem eine vergleichsweise lange Herrschaft
(um 476497) beschieden war und der den sich abzeichnenden Verfall
des Reiches noch etwas aufzuhalten vermochte. Nach Budhaguptas Zeit
bestand das Reich nicht mehr in seiner früheren Größe,
sondern war vermutlich unter verschiedene Mitglieder der Guptadynastie
aufgeteilt. Einzelne Randgebiete erlangten ihre Unabhängigkeit
zurück. Zu Beginn des 6.Jahrhunderts kehrten auch die hunnischen
Stämme zurück. Angeführt von Toramana und seinem
Sohn Mihirakula brachten sie bald große Teile des westlichen
und nördlichen Indien unter ihre Herrschaft. Vermutlich schon
im Jahre 528 setzte allerdings Yashodharman, dessen kometenhafter
Auf- und Abstieg in Malwa, einem Reich in Westindien, rätselhaft
bleibt, ihrer Herrschaft in Indien ein Ende. Der Untergang des Guptareiches
in der 1.Hälfte des 6.Jahrhunderts (die letzte bekannte Inschrift
eines »imperialen« Guptaherrschers ist auf 543 datiert)
war jedoch unaufhaltsam. Mehr noch als die Hunnen hatten Nachfolgestreitigkeiten,
Fragmentierung des Reiches und zentrifugale Tendenzen einstmals
untergebener Herrscher zu diesem Ende beigetragen.
Die Guptazeit
im Forscherstreit
In letzter Zeit richtet sich das Interesse der Forschung verstärkt
auf eine kritische Auseinandersetzung mit der seit dem 19.Jahrhundert
üblichen Wahrnehmung der Geschichte des Guptareiches als »goldenes
Zeitalter«. Britischen Historikern der Kolonialzeit, aber
auch vielen ihrer indischen Kollegen imponierte das Guptareich wegen
seiner Machtfülle, seines Reichtums und seiner inneren Stabilität.
Indischen Historikern in der Nationalbewegung galt das Guptareich
als Ideal »nationaler Solidarität nach fünf Jahrhunderten
politischer Zersplitterung und Fremdherrschaft« (Anant Sadashiv
Altekar), das immer wieder als Vorbild für ein im Kampf gegen
die modernen Fremdherrscher geeintes Indien herausgestellt wurde.
Das »goldene Zeitalter« der Gupta erschien als früher
Höhepunkt der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen
Entwicklung, ja als Symbol der Größe Indiens überhaupt.
Diese Wahrnehmung der Guptazeit wurde besonders von marxistischer
Seite angegriffen: Von einem »goldenen Zeitalter« könne
nicht die Rede sein, vielmehr habe es im Guptareich eine Reihe schwerwiegender
Missstände gegeben, zum Beispiel Prostitution und beginnende
Witwenverbrennung. Darüber hinaus habe sich die Diskriminierung
und Unterdrückung von Frauen, Niedrigkastigen und Kastenlosen
verschärft. Ein »goldenes Zeitalter« sei die Guptazeit
daher nur für eine vergleichsweise kleine Klasse von Besitzenden
gewesen (Dwijendra Narayan Jha). Ebenso wurde eine von den Guptaherrschern
selbst verursachte Destabilisierung des Großreiches durch
umfangreiche, mit eigenen Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Landschenkungen,
der Rückgang des Handels und dadurch bedingt der im archäologischen
Befund nachgewiesene Verfall der Städte (Damodar Dharmanand
Kosambi, Ram Sharan Sharma) festgestellt. Allerdings wurden die
Auswirkungen des königlichen Landschenkungswesens unterschiedlich
bewertet: Im Gegensatz zu den marxistischen Historikern hielten
andere Forscher Landschenkungen auch für eine bewusst eingesetzte
Methode der »Binnenkolonisation« (Hermann Kulke).
Die Diskussion um die Bewertung der Guptazeit führt vor Augen,
dass ideologisches und politisches Vorverständnis die Wahrnehmung
gerade dieser Phase der indischen Geschichte in erheblichem Maße
mitbestimmt hat. Ist ein zentralistisch verwalteter Staat das Ideal,
wird regionale Staatenbildung tendenziell negativ gesehen; der Zerfall
von Großreichen gilt entsprechend als Niedergang. In den letzten
Jahrzehnten wird die politische Zersplitterung der Jahrhunderte
zwischen und nach den beiden Großreichen jedoch zunehmend
als Ausprägung kultureller Vielfalt durchaus positiv bewertet.
Die
Maurya-Dynastie
321 v.Chr. gelang es Candragupta, der bei den Griechen als Sandrakottos
bezeichnet wurde, die Kontrolle über Magadha zu gewinnen. Im
Lauf der nächsten zehn Jahre weitete Candragupta, der Begründer
der Maurya-Dynastie, seine Herrschaft über den größten
Teil des Subkontinents aus. Unterstützt wurde er dabei von
Kautilya (oder Chanakya), einem brahmanischen Minister, der Hauptautor
des Arthashastra sein dürfte, eines Lehrbuches über Politik,
das dem Werk Der Fürst des italienischen Historikers Niccolò
Machiavelli ähnelt. Die militärische Macht des Indischen
Reiches veranlasste SeleukosI., einen der Generäle Alexanders
und Begründer des Seleukidenreiches, ein Bündnis mit dem
Maurya-Herrscher einzugehen. Der Vertrag wurde 305 v.Chr. durch
die Hochzeit Candraguptas mit einer Tochter des Seleukidenherrschers
besiegelt.
In
der Folge kam es aufgrund der engen Beziehungen zwischen den beiden
Reichen zu einem starken Einfluss der griechischen Kultur in Nordindien.
Die Maurya-Dynastie konnte sich bis etwa 185 v.Chr. halten. Während
der Regierungszeit von Ashoka (um 273 bis 232 v.Chr.), des größten
Herrschers der Maurya-Dynastie, entwickelte sich der Buddhismus
zur bedeutendsten Religion im Reich. Indien war inzwischen zu einem
Zentrum der Bildung geworden; Universitäten wie die in Nalanda
und Takshashila zogen Gelehrte aus China und Südostasien an.
Von den Dynastien, die unmittelbar auf den Niedergang der Mauryas
folgten, hielt sich die Sunga-Dynastie am längsten: Sie dauerte
über 100Jahre. Die wichtigsten Ereignisse dieser Epoche (um
184 bis 72 v.Chr.) waren Verfolgung und Niedergang des Buddhismus
in Indien sowie der Triumph des Brahmaismus. Aufgrund des Sieges
der Hindu-Brahmanen (Priester) wurde das Kastensystem ein wichtiges
Kennzeichen der indischen Gesellschaftsordnung; es stellte ein großes
Hindernis für die nationale Einigung dar.
Um 100 v.Chr. wurde ein großer Teil Westindiens von den Shakas
(Skythen) erobert, die sich dann vor den aus Zentralasien einströmenden
Yüe-chi zurückziehen mussten. Die Yüe-chi drangen
nach Süden vor und ließen sich schließlich im Nordwesten
Indiens nieder, wo Kadphises, einer ihrer Könige, um 40 n.Chr.
die Kuschan-Dynastie begründete. Ein Großteil Nordindiens
fiel unter die Herrschaft der Kuschan-Könige. Einer der ersten
von ihnen stellte diplomatische Beziehungen zum Römischen Reich
her und unterhielt einen regen Handelsverkehr. Unter den Kuschanen
im Allgemeinen und unter der Regentschaft von König Kaniska-
einem großen Förderer von Bildung und Kunst- im Speziellen
kam es zur Blüte der buddhistischen Kultur. Mathematik und
Naturgeschichte florierten zu dieser Zeit, in der auch die medizinischen
Charaka-Texte verfasst wurden.
Von den Herrschern der einheimischen Andhra-Dynastie, die schließlich
um 27 v.Chr. die Kontrolle über die früheren Sunga-Besitzungen
erhielt und etwa 460Jahre lang Bestand hatte, gingen wiederholt
Versuche zur Vertreibung der Shakas aus. Dies scheiterte jedoch,
und um 236 n.Chr. erlangten die Shakas schließlich Herrschaft
über den gesamten westlichen Teil Indiens. Ein Jahrzehnt früher,
kurz vor dem Fall der Andhra-Dynastie, war auch das Königreich
der Kuschanen zerfallen. Im folgenden Jahrhundert herrschte daher
in weiten Teilen Indiens politische Unsicherheit.
Das Gupta-Reich
Im
Jahr 320 gründete ein Radscha aus Magadha namens CandraguptaI.
(Regierungszeit 320 bis ca. 330) nach der Eroberung benachbarter
Gebiete ein neues imperiales Regime und die so genannte Gupta-Dynastie.
Seinem Enkel CandraguptaII. (Regierungszeit 375-413) gelang es,
das Reich beträchtlich zu erweitern, indem er sämtliche
Gebiete des Subkontinents nördlich des Flusses Narmada unterwarf.
Unter der Gupta-Dynastie, die etwa 160Jahre Bestand hatte, erreichte
die indische Kultur einen neuen Höhepunkt. Diese Zeit war von
einer längeren Friedensperiode, wirtschaftlichem Wachstum und
hervorragenden intellektuellen Leistungen - insbesondere auf den
Gebieten der Kunst, Musik und Literatur - gekennzeichnet. Ebenso
bedeutsam war die Renaissance des Hinduismus, der über lange
Zeit immer mehr verfallen war und jetzt Merkmale des Buddhismus
aufnahm.
Gegen Ende des 5.Jahrhunderts drangen die Hephtaliten, oft als Weiße
Hunnen bezeichnet, von Zentralasien nach Indien ein. Unter den Angriffen
der Eindringlinge brach das Gupta-Reich auseinander, das fast ein
Jahrhundert unangefochten geherrscht hatte. Um 565 wurde schließlich
die Macht der Weißen Hunnen durch einfallende türkische
Stämme gebrochen. Im heutigen Bundesstaat Rajasthan finden
sich Stämme, die als Nachfahren der Weißen Hunnen gelten.
In Nordindien hatte sich 606 ein weiteres mächtiges Königreich
entwickelt, das von Harshavardhana, dem letzten buddhistischen König
der indischen Geschichte, gegründet worden war. Durch Förderung
der Kunst versuchte Harshavardhana, die Gupta-Zeit zu imitieren;
die kulturellen Errungenschaften der Epoche lassen sich in den Chroniken
des großen chinesischen Pilgers Yuan Chwang (Hsüan-tsang
oder Tripitaka) nachvollziehen. Während seiner Herrschaft sicherte
sich Harshavardhana die Kontrolle über fast das gesamte Festland
und versuchte vergeblich, seinen Herrschaftsbereich auf das Hochland
von Dekkan auszuweiten. Nach seinem Tod zerfiel das Reich in zahlreiche
untereinander zerstrittene Kleinstaaten und Fürstentümer.
Diese anarchische Situation, die auch für die Situation auf
der Halbinsel charakteristisch war, hielt in Indien bis zum Beginn
des 11.Jahrhunderts an.
Einfälle der
Muslime und Mongolen
Die längere Periode innerer Auseinandersetzungen ging zu Ende,
als eine fest unter dem Islam vereinte Macht in Westasien auftauchte.
Bei dieser neuen Macht handelte es sich um die bislang samanidische
Provinz Chorassan, die von Mahmud von Ghazniì (Regierungszeit
999-1030) in ein unabhängiges Königreich verwandelt wurde.
Der erfolgreiche Feldherr, dessen Herrschaft über Chorassan
vom Kalifen von Bagdad anerkannt worden war, unternahm im Jahr 1000
die erste von insgesamt 17 aufeinander folgenden Expeditionen über
die afghanische Grenze nach Indien. Dabei konnte er jeweils Siege
über die politisch zerrissenen Inder erringen. 1025 hatte Mahmud
zahlreiche westindische Städte geplündert, darunter auch
die für ihren sagenhaften Reichtum bekannte Hafenstadt Somnath,
und die Punjab-Region seinem Reich einverleibt.
Der erfolgreichste Muslimherrscher nach Mahmud war Muhammad von
Ghur, dessen Regierungszeit 1173 begann. Er gilt vielen Historikern
als der eigentliche Begründer der muslimischen Herrschaft in
Indien. Er begann seine Eroberungszüge 1175, und im Lauf der
nächsten drei Jahrzehnte unterwarf er die gesamte Ebene zwischen
Indus und Ganges westlich von Benares (dem heutigen Varanasi). Nach
dem Tod Muhammad von Ghurs machte sich Qutb-ud-Din Aibak, sein Vizekönig
in Delhi und früherer Sklave, zum Sultan. Die von Qutb-ud-Din
gegründete so genannte Sklavendynastie hatte in ihm ihren einzigen
herausragenden Führer. Sie bestand bis 1288.
Ein weiterer erfolgreicher Muslimherrscher war Ala-ud-Din (Regierungszeit
1296-1316), der zweite Herrscher der folgenden Khalji-Dynastie.
Er konsolidierte das Indische Reich, indem er das Hochland von Dekkan
eroberte. Vor dem Ende seiner Regierungszeit begannen jedoch die
Mongolen, die Nordgrenze des Reiches zu infiltrieren. Der letzte
bedeutende Sultan in Delhi, Mohammed ibn Tughluq, brachte durch
Grausamkeit und religiösen Fanatismus sowohl seine muslimischen
als auch seine hinduistischen Untertanen gegen sich auf. Das Reich
wurde schließlich durch revolutionäre Auseinandersetzungen
und die Abspaltung einiger Provinzen wie Bengalen auseinandergerissen.
Die Unruhen nahmen nach Tughluqs Tod weiter zu. 1398 stieß
der mongolische Eroberer Tamerlan mit seinen Armeen auf kaum organisierten
Widerstand in Indien. Nach seiner erfolgreichen Invasion plünderte
und zerstörte er Delhi und massakrierte die Bevölkerung.
Kurz nach der Plünderung Delhis zog er sich wieder aus Indien
zurück und überließ die Reste des Reiches Mahmud
(Regierungszeit 1399-1413), dem letzten Tughluq. Ihm folgte 1414
der erste Sayyiden-Herrscher nach und damit eine Dynastie, deren
Herrschaft später von Bahlol (Regierungszeit 1451-1489), dem
Begründer des Hauses Lodi, abgelöst wurde. Die im Allgemeinen
schwache und ineffektive Lodi-Dynastie endete 1526. In diesem Jahr
unternahm Babur, ein Nachkomme Tamerlans und Dschingis Khans sowie
Begründer der Mogul-Dynastie, eine Reihe von Eroberungszügen
nach Indien, an deren Ende er die Streitkräfte der Lodi unterwerfen
konnte. Babur besetzte die Lodi-Hauptstadt Agra und machte sich
zum Kaiser des Muslimreiches. Innerhalb der ersten vier Jahre nach
seinem Sieg gelang es ihm, die Kontrolle über einen großen
Teil des indischen Festlands zu erwerben.
Das
Mogulreich
Baburs Enkel Akbar sollte zum größten Mogulherrscher
werden. Während seiner Regierungszeit (1556-1605) unterwarf
er Aufstände rebellischer Fürsten in verschiedenen Regionen,
dazu gehörten der Punjab, Rajputana (der heutige Bundesstaat
Rajasthan) und Gujarat. 1576 gelang es ihm, Bengalen in sein Herrschaftsgebiet
einzugliedern; zwischen 1586 und 1592 eroberte er Kaschmir, und
1592 annektierte er Sind. Zwischen 1598 und 1601 unterwarf er eine
Reihe von muslimischen Königreichen im Hochland von Dekkan.
Bei der Verwaltung seiner weiträumigen Besitzungen legte Akbar
ein bemerkenswertes Geschick an den Tag. Er versicherte sich der
Loyalität Hunderter feudaler Herrscher, förderte den Handel,
führte ein gerechtes Steuersystem ein und setzte sich für
religiöse Toleranz ein. Unter Akbars Enkel Shah Jahan erreichte
das Mogulreich seine kulturelle Blüte. Die Regierungszeit von
Shah Jahan (1628-1658) fiel ins goldene Zeitalter der indisch-sarazenischen
Architektur, deren berühmtestes Beispiel das Taj Mahal ist.
Im Jahr 1658 wurde er von seinem Sohn Aurangzeb, der den Titel Alamgir
(„Eroberer der Welt") annahm, vom Thron vertrieben. Der
verräterische Aurangzeb tötete seine drei Brüder
und führte eine Reihe von Kriegen gegen die autonomen indischen
Königreiche, wodurch er das Reich moralisch und materiell schwächte.
Während seiner Feldzüge im Hochland von Dekkan fügten
die Marathen, ein skythisch-dravidisches Volk, den imperialen Armeen
mehrere Niederlagen zu. Die Stabilität der Aurangzeb-Herrschaft
wurde zudem durch den Widerstand des Volkes gegen seine bigotten
religiösen Vorstellungen untergraben. Während der Regierungszeit
Aurangzebs, die 1707 mit seinem Tod im Exil endete, konnte der Sikh-Glaube
in Indien Fuß fassen.
Im ersten halben Jahrhundert nach Aurangzebs Tod war die Existenz
des Mogulreiches als Staat beendet. Die politischen Wirren dieser
Periode waren durch raschen Verfall der Zentralmacht gekennzeichnet.
Muslimische und hinduistische Abenteurer errichteten zahlreiche
kleinere Königreiche und Fürstentümer; die Gouverneure
der imperialen Provinzen bildeten große, unabhängige
Staaten. Zu den ersten großen Staaten, die damals entstanden,
gehörte Hyderabad (1712). Das wankende Mogulregime erlitt 1739
eine verheerende Niederlage, als der persische Scheich Nadir Shah
mit seiner Armee in Indien einfiel und Delhi plünderte. Zur
Beute der Invasoren, des sechsten Muslimheeres, das Indien überrannte,
gehörten der riesige Koh-i-noor-Diamant und der sagenhafte
Pfauenthron, der aus massivem Gold bestand und mit Edelsteinen besetzt
war. Der persische Scheich zog sich bald wieder aus Indien zurück,
doch 1756 wurde Delhi erneut besetzt: diesmal von Ahmed Shah, dem
Emir von Afghanistan, der zuvor bereits den Punjab besetzt hatte.
1760 verbündeten sich die Sikhs und die Marathen gegen die
Armeen von Ahmed Shah. Die darauffolgende Schlacht von Panipat am
7.Januar 1761 endete mit einem Sieg der Invasoren. Nach ihrem Abzug
1764 kehrte der Mogulherrscher wieder auf den Thron zurück.
Seine Autorität war jedoch wie die seiner Vorgänger nur
nominell. Mit der Niederlage der Marathen und Sikhs war die Wahrscheinlichkeit
der Wiedervereinigung Indiens zu einem einzigen starken Staat auf
Null gesunken, und das Land, das bereits seit langem Spielball der
europäischen Mittelmeermächte gewesen war, fiel immer
mehr unter die Herrschaft der Briten.
Portugiesischer
und niederländischer Kolonialismus
Die muslimische Kontrolle der wichtigen Handelswege zwischen dem
Mittelmeer und Indien führte dazu, dass verschiedene europäische
Mächte von einer neuen Route nach Fernost träumten, und
zwar schon lange bevor Babur das Mogulreich begründet hatte.
Die Portugiesen betrieben die Suche nach einer solchen Route besonders
eifrig. In den Jahren 1497 und 1498 leitete Vasco da Gama im Auftrag
der portugiesischen Krone eine Expedition um das Kap der Guten Hoffnung
und durch den Indischen Ozean. Am 19.Mai 1498 fuhr da Gama in den
Hafen von Calicut (das heutige Kozhikode) an der Malabarküste
ein, und eine neue Ära der indischen Geschichte begann. Nachdem
die Portugiesen zu dem im Dekkan herrschenden Königreich freundschaftliche
Beziehungen aufgenommen hatten, sicherten sie sich das Monopol für
den indischen Seehandel, das sie ein Jahrhundert lang behielten.
Gebrochen wurde die portugiesische Monopolstellung zu Beginn des
17.Jahrhunderts durch die niederländische Ostindische Kompanie,
eine Vereinigung privater niederländischer Händler, die
1602 unter dem Schutz der niederländischen Regierung gegründet
worden war. Zwei Jahre zuvor hatte die englische Königin ElisabethI.
eine Charta an eine ähnliche Handelsorganisation übergeben,
die erste britische Ostindische Kompanie. Die Verhandlungen der
Kompanie mit dem Mogulherrscher Jahangir waren erfolgreich, und
im Dezember 1612 gründeten die Engländer ihre erste Handelsstation
in Surat am Golf von Khambhata. Am 29.November griff eine portugiesische
Flotte im Golf von Khambhata eine Reihe englischer Schiffe an; die
darauffolgende Seeschlacht konnten die Engländer jedoch für
sich entscheiden.
Im Lauf der nächsten Dekade mussten die Portugiesen noch eine
Reihe weiterer Niederlagen hinnehmen, so dass die Engländer
von den Portugiesen in Indien nur mehr wenig Opposition zu erwarten
hatten. Die Niederländer, die sich bereits auf dem Malaiischen
Archipel festgesetzt hatten, versuchten ebenfalls, die Engländer
aus Indien zu vertreiben, wurden aber Ende des 17.Jahrhunderts genauso
wie zuvor die Portugiesen als ernsthafte Konkurrenten aus dem Feld
geschlagen. Die britische Ostindische Kompanie weitete mittlerweile
ihre Einflusssphäre und ihren Geschäftsbereich beständig
aus. Es gelang ihr, einen Stützpunkt in Orissa zu erlangen
(1633), die Stadt Madras zu gründen (1639), Handelsprivilegien
in Bengalen zu erreichen (1651), Bombay von den Portugiesen zu erwerben
(1661) und mit dem Marathenherrscher Shivaji Bhonsle einen Handelsvertrag
abzuschließen (1674). 1690 gründete die Kompanie die
Stadt Kalkutta, nachdem die örtliche Opposition gewaltsam unterdrückt
worden war.
Wachsende
Rivalitäten zwischen Briten und Franzosen
Während der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts gefährdeten
die Franzosen, die bereits seit 1675 in Indien Handel getrieben
hatten, zunehmend die immer stärkere Stellung der britischen
Ostindischen Kompanie. Die Spannungen zwischen Frankreich und dem
neu gegründeten Großbritannien erreichten 1746 ein kritisches
Stadium, als eine französische Flotte Madras belagerte. Diese
Aktion, die im Rahmen des Österreichischen Erbfolgekrieges
(1740-1748) stattfand, sowie die nachfolgenden Kampfhandlungen in
Indien endeten unentschieden; 1748 gaben die Franzosen Madras an
die Briten zurück. In den nächsten drei Jahren flammte
der schwelende Konflikt zwischen den beiden konkurrierenden europäischen
Mächten jedoch wieder auf, und es kam zu bewaffneten Auseinandersetzungen.
Robert Clive, ein Angestellter der britischen Ostindischen Kompanie,
wurde durch seinen Sieg im Kampf um die Kontrolle über Hyderabad
und Karnataka berühmt.
Die letzte Phase des Kampfes zwischen Großbritannien und Frankreich
um die Vorherrschaft in Indien entwickelte sich im Anschluss an
den Siebenjährigen Krieg in Europa. Im Lauf der Auseinandersetzungen
zwischen 1756 und 1763, an denen auch große indische Partisanenkontingente
beteiligt waren, konnten die Briten einige entscheidende Siege erringen
und damit den französischen Plänen einer politischen Kontrolle
über den Subkontinent endgültig eine Absage erteilen.
Das bedeutendste Ereignis des gesamten Krieges war Clives Sieg bei
Plassey, wodurch die Briten praktisch zu Herrschern über Bengalen
wurden. Im Rahmen des Friedensvertrags nach dem Siebenjährigen
Krieg wurde das französische Territorium in Indien auf einige
Handelsstationen begrenzt. Siehe auch Karnataka-Kriege.
Britische Ostindische
Kompanie
Als Ergebnis der militärischen Siege war die britische Ostindische
Kompanie in den Besitz strategischer, politischer und territorialer
Positionen in Bengalen, der bevölkerungsreichsten indischen
Provinz, und im Dekkan gelangt. Die Unternehmenspolitik zielte darauf
ab, diese Positionen zu festigen und auszubauen. Die britische Ostindische
Kompanie konnte ihren Status als privates Handelsunternehmen bis
1773 behalten; in diesem Jahr wurde sie vom Parlament zu einer halboffiziellen
britischen Regierungsbehörde ernannt. Der Erfolg der britischen
Indienpolitik wurde durch das politische Machtvakuum ermöglicht,
das im Anschluss an die Schlacht von Panipat (1761) entstanden war,
als weder das Mogulreich noch die Marathenkonföderation stark
genug waren, um sich durchzusetzen.
Bewaffneter
Widerstand
Bei der Verfolgung ihrer Ziele verließen sich die Briten vorwiegend
auf ihre überlegene Militärmacht; daneben kamen Bestechung,
Erpressung und politische Manipulation indischer Herrscher häufig
und erfolgreich zum Einsatz. Die Uneinigkeit der verschiedenen indischen
Königreiche und Fürstentümer bereitete den Boden
dafür, dass die Briten schließlich den gesamten Subkontinent
sowie angrenzende Regionen wie Birma unter ihre Gewalt bekamen.
Sporadisch setzten sich verschiedene indische Staaten einzeln oder
gemeinsam erbittert gegen die Ausbeutung und Besetzung ihres Landes
durch die Kompanie zur Wehr, konnten sich aber nicht durchsetzen.
Zu den wichtigsten Zentren des bewaffneten Widerstands gegen die
britische Herrschaft gehörten zu verschiedenen Zeiten die Marathenkonföderation,
Mysore, Sind und der Punjab. 1845 griffen die Sikhs im Punjab britische
Stellungen an und verursachten damit einen Krieg, der zu zahlreichen
Opfern auf beiden Seiten führte. 1846 wurden die Sikhs geschlagen,
doch zwei Jahre später begannen sie erneut eine militärische
Konfrontation mit den Briten. In der Schlacht von Chilianwala töteten
die Sikhs fast 2500Briten. Am 21.Februar 1849 entschieden die Briten
jedoch eine zentrale Schlacht zu ihren Gunsten und zwangen die Sikhs
so zur Kapitulation.
Der Einfluss Dalhousies
Im Anschluss daran annektierte die Ostindische Kompanie den Punjab.
In den nächsten Jahren annektierte der damalige Generalgouverneur
James Andrew Broun Ramsay, der 10. Earl of Dalhousie, die Königreiche
Satara, Jaipur, Sambalpur, Jhansi und Nagpur jeweils nach dem Tod
ihrer Herrscher. Dalhousies Annexionspolitik rief einen Sturm der
Entrüstung sowohl beim indischen Adel als auch beim Volk hervor.
Materiell profitierte Indien dagegen von verschiedenen Verbesserungen
und Reformen, die von der Regierung Dalhousie durchgesetzt wurden.
Es wurden Eisenbahnen, Brücken, Straßen und Bewässerungssysteme
gebaut, Post- und Telegraphenwesen eingerichtet und grausame Traditionen
wie Sati (Witwenverbrennung) und Sklavenhandel eingedämmt.
Diese Neuerungen und Reformen stießen im indischen Volk allerdings
auf wenig Gegenliebe, da viele der Modernisierung des Landes skeptisch
und ängstlich gegenüberstanden. 1856 annektierte Dalhousie
Oudh, was zusätzlich für beträchtlichen Widerstand
im Volk sorgte. Insbesondere die Verachtung, die Dalhousie der indischen
Kultur entgegenbrachte, sorgte für Ablehnung.
Großer Indischer Aufstand von 1857/58
Die Unruhen in Indien nahmen ständig zu, was schließlich
zur Bildung einer konspirativen Bewegung unter den Sepoys, den von
der britischen Ostindischen Kompanie angestellten indischen Truppen,
führte. Der Aufstand, der als Großer Indischer Aufstand
von 1857/58 bzw. als Sepoy-Aufstand bekannt ist, begann am 10.Mai
1857 in Meerut in der Nähe von Delhi. Ausgelöst wurde
er von einer spontanen Reaktion der Hindu- und Muslimtruppen, die
sich gegen die Verwendung von Rind- bzw. Schweinefett in ihren Essensrationen
wandten. Diese Opposition gegen die britische Herrschaft griff rasch
um sich, und die Sepoy sammelten sich unter dem Banner von Bahadur
ShahII., nomineller Herrscher des dem Untergang geweihten Mogulreiches.
Den Meuterern gelang es rasch, Delhi und weitere strategische Zentren
zu besetzen. Sie massakrierten Hunderte von Europäern und belagerten
am 30.Juni die britische Residenz in Lucknow. Die Belagerung der
Stadt konnte im November beendet werden, und es wurden britische
Verstärkungstruppen sowie loyale Sepoys in den nicht betroffenen
Gebieten eingesetzt. Die Kämpfe zogen sich noch bis 1859 hin,
nachdem bereits im Juni 1858 die wichtigsten Stützpunkte der
Rebellen zurückerobert worden waren.
Dem Aufstand folgte eine Periode brutaler Unterdrückung durch
britische Truppen, und zwar insbesondere in Delhi, wo Tausende ohne
Gerichtsverhandlung getötet wurden. Im selben Jahr verurteilten
die Justizbehörden der Ostindischen Kompanie Bahadur ShahII.
unter dem Vorwurf der Anstiftung zur Rebellion zu lebenslanger Haft.
Damit endete das letzte Kapitel der Geschichte des Mogulreiches.
Wichtigstes Ergebnis des Großen Indischen Aufstands war die
Verabschiedung des Act for Better Government in India durch das
britische Parlament (1858); darin war vorgesehen, dass die Verwaltung
Indiens von der Ostindischen Kompanie auf die britische Krone überging.
Das britische Indien und der aufkommende Nationalismus
Nachdem sich die britische Regierung um die Verwaltung Indiens kümmerte,
wurden zahlreiche Missstände, die unter der Herrschaft der
Ostindischen Kompanie gang und gäbe waren, abgeschafft oder
zumindest gemildert. Die Briten führten wichtige Reformen im
Steuerwesen und in der Verwaltung sowie im Rechts-, Bildungs- und
Sozialwesen durch. Daneben wurden die von Dalhousie initiierten
Infrastrukturmaßnahmen weiter vorangetrieben. Die britische
Regierung übernahm eine ganze Reihe schwer zu lösender
Probleme; dazu gehörten die Verarmung weiter Kreise der Bevölkerung,
der verbreitete Widerstand gegen den kolonialen Status des Landes
und ein wachsender Nationalismus. Mehrere verheerende Hungerkatastrophen,
die 1866 mit der Hungersnot in Orissa begannen - sie kostete etwa
1,5Millionen Menschen das Leben-, trugen beträchtlich zur politischen
Unruhe bei. 1876 machte das britische Parlament unter dem damaligen
Premierminister Benjamin Disraeli Königin Viktoria zur Kaiserin
von Indien.
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