
In der folgenden Zusammenfassung der indischen Geschichte wird auf
wichtige historische Ereignisse und Wendepunkte eingegangen. Zur
ergänzenden Information über die indische Geschichte und
Kultur siehe Indus-Kultur; Buddhismus; Kaste; Draviden; Ostindische
Kompanie; Hinduismus; indische Kunst und Architektur; Islam; Jainismus;
Parsismus; Sanskrit; Sanskrit-Literatur; Sepoy-Aufstand; Sikhs;
Yoga. Zusätzliche Informationen über historische Persönlichkeiten
erhält man in den jeweiligen Biographien.
Vorgeschichte
Da über die sozialen, kulturellen und politischen Ereignisse
der Frühzeit keine schriftlichen Aufzeichnungen vorliegen,
sind Wissenschaftler hinsichtlich der ersten Kulturen auf dem Indischen
Subkontinent fast ausschließlich auf archäologische Funde
angewiesen. Aus diesem Material kann man schließen, dass die
Bewohner des Subkontinents während der Jungsteinzeit über
weite Landstriche verteilt lebten und allmählich von vermutlich
aus dem Westen eingewanderten Dravidenstämmen assimiliert wurden.
Auf der Grundlage archäologischer Funde aus dem Industal ist
anzunehmen, dass die von den Draviden errichtete Kultur in etwa
den Zivilisationen in Mesopotamien oder im alten Ägypten entsprach
oder sie an Pracht sogar übertraf.
Um die Mitte des 3.Jahrtausends v.Chr. erfolgte eine Reihe von Invasionen
indoeuropäischer Stämme in das dravidische Indien. Die
Herkunft dieser Stämme ist weitgehend unbekannt, sie werden
gewöhnlich als indoarische Stämme bezeichnet. Sie gelangten
über die Bergpässe entlang der Nordwestgrenze des Reiches
auf den Subkontinent und besetzten mit der Zeit den Großteil
der Gebiete nördlich des Vindhya-Gebirges und westlich des
Flusses Yamuna. Viele Draviden flüchteten in den Norden und
in das Zentrum der indischen Halbinsel, wo die Dravidensprachen
immer noch weitverbreitet sind. Nach Meinung vieler Wissenschaftler
wurden die verbliebenen Dravidenstämme und ein Großteil
ihrer Kultur schließlich von den Indoariern absorbiert.

Für die
vedische Zeit haben wir keine exakten Daten und sind daher überwiegend
auf indirekte Quellen angewiesen. Deshalb kann dieses Kapitel nicht
in erster Linie eine Darstellung der politischen Geschichte des
alten Indien sein, sondern es soll vielmehr einen Überblick
über die soziale Ordnung, ihre Entwicklung, das Verhältnis
des Einzelnen zum Staat und die Alltagskultur in der Zeit von etwa
1500 bis 600 v.Chr. geben.
Für die frühe Periode haben wir zwei Arten von Quellen,
archäologische und literarische. Die archäologischen Quellen
bestehen vor allem aus Keramik- und Waffenfunden in der Gangesebene.
Gebäudereste oder andere Monumente aus vedischer Zeit wurden
nicht gefunden, woraus man schließen kann, dass die Gebäude
aus leicht vergänglichem Material wie etwa Holz bestanden und
die Götter wohl unter freiem Himmel verehrt wurden.
Die frühesten literarischen Quellen sind die Veden. Der Veda
(das heilige, geoffenbarte »Wissen«) besteht aus vier
Sammlungen (Samhitas). Der älteste Teil, der Rigveda (»Hymnen«,
vor allem an Götter), entstand in der frühen Zeit nach
der Einwanderung der Arier in Indien und ist auch die Hauptquelle
für die Kunde der frühen vedischen Zeit (etwa 1500 - 1000
v.Chr.). Im Samaveda (»Veda der Gesänge«) finden
wir zum großen Teil aus dem Rigveda übernommene Gesänge
für den priesterlichen Vorsänger bei Opferritualen, im
Yajurveda (»Veda der Opfersprüche«) das Opfer begleitende
Formeln. Der Atharvaveda (»Veda des Hauspriesters«)
ist eine Sammlung metrischer Zaubertexte.
Als
Quellen für die spätvedische Zeit (zwischen 1000 und 600
v.Chr.) dienen vor allem die Brahmanas und Upanishaden, weshalb
diese Zeit auch Brahmanazeit heißt. Beides sind vedische Erläuterungstexte.
Die Brahmanas sind in Prosa gehaltene Handbücher der Opferwissenschaft.
Neben Ritualvorschriften enthalten sie Kommentare dazu, ferner Legenden,
in denen die Ursachen und historischen Zusammenhänge für
ein bestimmtes Ritual erklärt werden. Die frühen Upanishaden
entstanden als Anhänge zu den Brahmanas und enthielten die
selbstständig überlieferten philosophischen Teile der
Brahmanas; sie behandeln den Ursprung der Welt, den Geburtenkreislauf
(Samsara), das Wirken der Tatenvergeltung (Karma) und die Erlösung
(Nirvana). Im Abendland wurden die Upanishaden als früheste
Beispiele der indischen Philosophie bekannt.
Uralten Stoff enthält auch das etwa 100000 Verse umfassende
Epos Mahabharata. In seiner Haupterzählung wird eine 18 Tage
dauernde Schlacht zwischen den Nachkommen des Bharata geschildert.
Das Mahabharata hat einen historischen Kern; die beschriebene Schlacht
auf dem Kurufeld soll um 900 v.Chr. tatsächlich stattgefunden
haben. In den Kampfesdarstellungen könnten sich die kriegerischen
Auseinandersetzungen bei der Einwanderung der Arier nach Indien,
die Ausbreitung der Arier ebendort sowie die Kämpfe zwischen
den rivalisierenden Stämmen widerspiegeln. Der Name des vedischen
Stammes der Bharata ist in Sanskrit (der alten Literatursprache
Indiens) Bharatavarsha (»Land der Bharata« oder »Land
der Bharatanachfahren«), dem heutigen Namen für Indien,
erhalten geblieben.
Ein Ergebnis der Fusion zwischen vedischen Einflüssen und einheimischer
Kultur zeigt sich auch in den Puranas, einer Gruppe von anonymen
Sanskrit-Texten; in ihnen wird jeweils ein Gott gefeiert. Zu den
traditionellen Themen der Puranas gehören auch die Abstammungen
der indischen Herrschergeschlechter von den mythischen Anfängen
bis in die historische Zeit.
Der Wert der literarischen Texte als historische Quellen ist allerdings
umstritten. Es wird angenommen, dass sich überall dort, wo
nicht offensichtlich mythische Berichte vorliegen, ein tatsächliches
Geschehen widerspiegelt. Erstaunlich ist, dass viele historische
Namen des Rigveda in der späteren vedischen und epischen Literatur
entweder gar nicht wieder erscheinen oder ganz andere Personen bezeichnen
als im vedischen Kontext.
Arische
Kolonisation Nordindiens
Ab etwa 1500 v.Chr. drangen die ersten Arier aus dem kleinasiatischen
Raum, wo sie zuerst im Mitannireich nachweisbar sind, in das nordwestliche
Indien ein. Zunächst besetzten sie die Gebiete entlang des
Indus. Sie fanden bereits eine Bevölkerung unterschiedlicher
Kulturstufen vor.
Bevor die Arier über die Pässe des Hindukusch in Nordindien
einwanderten, hatten sie einige Zeit in der nordiranischen Hochebene
und in Baktrien (heute Nordafghanistan) gesiedelt. Dies kann man
aus der Verwandtschaft der Sprachen Indiens und des Iran schließen.
Das Altindische, wie wir es in den vedischen Texten vorfinden, bildet
zusammen mit dem Iranischen den arischen Zweig der indogermanischen
Sprachfamilie. Aus dieser Verwandtschaft der Sprachen wird geschlossen,
dass sich die alten Iraner und die vedischen Inder von einem gemeinsamen
indoiranischen Stamm getrennt haben.
Die Arier drangen in mehreren Wellen von Nordwesten aus über
die Gebirgspässe im iranischen und afghanischen Gebiet in Nordindien
ein und wanderten auf der Suche nach Weiden durch die Ebenen des
Pandschab bis zum Gebiet an der Yamuna (Jumna), einem Nebenfluss
des Ganges. Zunächst lebten sie noch halbnomadisch, und ihr
Hauptinteresse galt der Viehzucht und den Weideplätzen. Später
gingen sie in den neu eroberten Gebieten zum Ackerbau über,
und es bildeten sich kleine Dorfgemeinschaften heraus. Sie bauten
Gerste und andere Getreidesorten an und züchteten Rinder und
Pferde. Zu dieser Zeit scheint der Rigveda entstanden zu sein. Seine
Hymnen wurden für lange Zeit innerhalb der Priesterfamilien
nur vom Lehrer auf den Schüler mündlich überliefert.
Die den ersten Eindringlingen folgenden Gruppen zogen nach Osten.
Dort wurden, in der Gangesebene bis nach Bengalen und Orissa, Überreste
von Wohnsiedlungen einer Bevölkerung in einem Übergangsstadium
zwischen Jägern und Sammlern und Ackerbauern gefunden. Sie
benutzten Stein- und Kupferwerkzeuge und stellten »ockerfarbene«
Tonware her. Auf sie stießen die Arier wahrscheinlich, als
sie in die Gangesebene eindrangen. Erhärtet wurde diese Annahme
durch Funde von Knochenresten von Pferden. Die Pferde wurden erst
durch die Arier nach Indien gebracht. Daraus schloss man, dass diese
Orte von ihnen besiedelt waren. Die Fundstätten mit der den
Ariern zugeschriebenen »bemalten grauen Keramik« sind
auf 1100 - 500 v.Chr. datiert. Die Siedler in diesen Gebieten betrieben
Ackerbau sowie Vieh- und Pferdezucht und hatten schon Eisenwerkzeuge.
Um die Mitte des 1.Jahrtausends v.Chr. brachten die Indoarier diese
Kultur auch in den Dekhan, wo noch Steinwerkzeuge und Kupfer vorgeherrscht
hatten.
Die Arier siedelten in der frühvedischen Zeit (1500 - 1000
v.Chr.) nur in der Nordhälfte des alten Indien, nämlich
im Gebiet südlich des Hindukusch und des Himalaya zwischen
Afghanistan, dem Industal mit dem Pandschab bis zur Yamuna. Im Rigveda
werden nur der Indus sowie die fünf Flüsse, nach denen
der Pandschab (»Fünfstromland«) benannt ist, und
die Sarasvati erwähnt. Letztere entspricht wohl dem modernen
Flussnamen Sarsuti zwischen Sutlej und Yamuna. Dies sind die »sieben
Flüsse« des Veda. Der Name der Yamuna erscheint im Rigveda
sehr selten, der des Ganges ein einziges Mal. Im Norden ist der
Himalaya (»Schneewohnung«) bekannt, im Süden reicht
die Ausdehnung nicht bis zur Vindhyakette (im Norden des Dekhan),
deren Name im Veda ganz fehlt. Im Westen werden die Flüsse
Afghanistans genannt. Anspielungen auf die Schätze des Meeres
und auf die westlichen und östlichen Ozeane im Rigveda scheinen
nahe zu legen, dass nicht nur die Indien umgebenden Meere bekannt
waren, sondern auch Seeschifffahrt und Handel mit Ländern jenseits
der Meere betrieben wurden. Fluss- und Küstenschifffahrt überwogen
jedoch.
Bis zu Beginn der spätvedischen Zeit (um 1000 v.Chr.) zogen
die Arier auf der Suche nach neuem Land immer weiter nach Osten.
Dies kann aus dem Vorkommen von geographischen Namen in den Brahmanas
und Upanishaden geschlossen werden. Denn nun trat das Land an der
Sarasvati und noch weiter im Osten das Doab (»Zweistromland«)
zwischen Yamuna und Ganges in den Mittelpunkt. Um 1000 v.Chr. saßen
in der Ebene nördlich des heutigen Delhi, dem Kurukshetra,
die Kaurava, die vielfache Beziehungen mit den Pancala, ihren südöstlichen
Nachbarn in der Gegend des heutigen Delhi und von Mathura, unterhielten.
Durch ein Bündnis schlossen sich die beiden Gebiete zusammen
und bildeten den Herrschaftsbereich von Madhyadesha (»Mittelland«),
der zum Zentrum brahmanischer Kultur und der politischen Macht Nordindiens
wurde. Um die Herrschaft in diesem Gebiet wurde in der im Epos Mahabharata
geschilderten großen Schlacht zwischen dem Volksstamm der
Kaurava und den fünf Pandavaprinzen gekämpft. Die Kaurava
und die Pandava, die nach dem Epos Vettern waren, erhoben beide
Anspruch auf die legitime Herrschaft in Madhyadesha, dem eigentlichen
Stammesgebiet der Kaurava. Die Hauptstadt der Pandava war Indraprastha
(Delhi), während die Kaurava nordöstlich davon in Hastinapura
am Ganges residierten. In der Schlacht verbündeten sich die
Pandava mit den Völkern von Magadha, Kosala und Kashi im Osten
und mit den Pancala, mit denen sie verschwägert waren. Auf
der Seite der Kaurava kämpften die Stämme des Pandschab
und des nordwestlichen Sind. Am Ende der Schlacht sind fast alle
Helden erschlagen, und die siegreichen Pandava ziehen sich als Einsiedler
in den Himalaya zurück.
Arier
und Urbevölkerung
Obwohl die eindringenden Arier der ansässigen Bevölkerung
zahlenmäßig weit unterlegen waren, errangen sie mit ihren
härteren Bronzewaffen und den mit Pferden bespannten leichten
Streitwagen überall schnelle Siege über die Einheimischen,
die mit langsamen Ochsenwagen und kupfernen Lanzen und Schwertern
ausgerüstet waren.
Die Einwanderer nannten sich mit ihrer Eigenbezeichnung Arya, ein
Wort, das ursprünglich »gastfreundlich« bedeutet
und später »Edler«. Die Lieder des Rigveda berichten
von häufigen Kämpfen mit den Eingeborenen, den Dasyus
oder Dasas. Letzteres Wort nahm später die Bedeutung »Sklave«,
»Diener« an, während das Wort Dasyu fast völlig
verschwand. Die Dasyus werden im Rigveda als »dunkelhäutig«
und als der Gesichtsbildung und Religion nach von den Ariern verschiedener
Menschentyp geschildert. Sie bildeten vor allem den Stand der Landarbeiter
und Handwerker und werden in den Texten als Verehrer des Phallus
beschrieben. Ihre überlieferten religiösen Vorstellungen
waren vom Kult der Fruchtbarkeitsgöttinnen geprägt. Sie
scheinen Bilder ihrer Götter und Dämonen aus Holz und
Lehm angefertigt zu haben, da zahlreiche kleine weibliche Statuen
aus Lehm gefunden wurden. Die gegenseitige Beeinflussung von Ariern
und Ansässigen ist besonderes offensichtlich an der Sprache
nachzuweisen.
Die
Vierständeordnung in vedischer und nachvedischer Zeit
Schon in den ältesten vedischen Texten ist eine Zweiteilung
in der Rangordnung innerhalb des Stammes erkennbar. In den frühesten
Hymnen wird von den Adligen (Kshatra) und dem normalen Volk (Vish)
gesprochen. Diese Zweiteilung scheint den indoeuropäischen
Stämmen gemeinsam gewesen zu sein. Mit der Zeit, als die Opferrituale
immer wichtiger und komplizierter wurden, errangen die Priester
eine immer höhere Stellung. Sie führten nicht nur die
praktischen Verrichtungen bei Ritualen aus, sondern wurden durch
die Bewahrung der Veden und der in ihnen enthaltenen Überlieferung
von Mythen, Sagen und Geschlechterfolgen zum Hauptträger der
vedischen geistigen Kultur. Als sich die Arier in Indien ansiedelten,
scheinen sich die Klassenunterschiede, auch gegenüber den Dasas,
verhärtet zu haben. Diese sanken immer mehr in der sozialen
Skala. Am Ende der Rigvedaperiode (um 900 v.Chr.) hatten sich die
vier Stände der Priester (Brahmanen), Krieger (Kshatriya),
Ackerbauern (Vaishya) und Hörigen (Shudra) herausgebildet,
und der Brahmanenstand war zum höchsten Stand geworden. Dies
wird aus einem Hymnus des Rigveda ersichtlich, in dem die Opferung
des Urmenschen besungen wird. Danach entstand aus dem Mund des Urmenschen
der Brahmane, aus seinen Armen der Kriegerstand, aus seinen Schenkeln
der Vaishya und aus seinen Füßen der Shudra. Den Shudra
war zwar erlaubt, Land zu bestellen und Besitz zu haben, jedoch
nur die ersten drei Stände durften den Veda hören und
galten als zweimal Geborene (Dvija). Dies führte dazu, dass
die Shudra, die von vedischen Ritualen ausgeschlossen waren, ihre
eigenen Götter und die alten Volksgottheiten als Schutz- und
Fruchtbarkeitsgötter verehrten. Der Stand der Shudra setzte
sich aus deklassierten Ariern und Nichtariern zusammen. Die Sklaven
(Dasa), die in Indien nie eine wirtschaftlich und gesellschaftlich
so wichtige Rolle spielten wie die Sklaven der griechischen und
römischen Antike, standen unterhalb und somit außerhalb
der Vierständeordnung. Zu ihnen gehörten vor allem auch
verachtete Berufe wie die der Henker, Leichenwäscher, Metzger.
Die Vierständeordnung lebt bis heute im Kastensystem weiter.
Die Sanskritbezeichnung Varna (»Farbe«) dafür deutet
auf einen Ursprung des Systems aus dem Kontakt, in den die alten
Stammesordnungen mit Völkern anderer Hautfarbe und fremder
Kulturen gerieten. Die vier Stände der spätvedischen Zeit
unterschieden sich aber in den entscheidenden Merkmalen völlig
von den späteren Kasten: 1)Die Stände waren noch nicht
unbedingt erblich. Man konnte von einem Stand in den anderen übertreten;
die Nachfahren eines Königs konnten Brahmanen, Vaishya oder
Shudra werden. Die Zugehörigkeit zum Brahmanenstand hing vor
allem vom Wissen ab. In der späteren, bis heute gültigen
Kastenordnung wird man unwiderruflich in eine bestimmte Kaste hineingeboren.
2) Das Gebot der Eheschließung innerhalb eines Standes (Endogamie)
gab es noch nicht. 3)Das Gebot der Speisegemeinschaft (Kommensalität)
der einzelnen Stände bestand noch nicht. Speiseverbote und
Verbote über den Verkehr mit Unreinen bezogen sich nur auf
die Priester während der Opferrituale. 4) Von gewaltsamer Ausstoßung
aus einem Stand wird nirgends berichtet. Das Fehlen dieser für
die spätere Kastenordnung geltenden Gesetze und Gebote zeigt,
dass das heutige Kastensystem in der spätvedischen Zeit noch
nicht existierte.
Staat
und Gesellschaft in vedischer Zeit
In frühvedischer Zeit war die Familie die Grundlage für
die Gesellschaft. Eine Gruppe von verwandten Familien bildete eine
Stammeseinheit. Im Stamm hatte der Mann eine bevorzugte Stellung;
bei der Erbfolge war die männliche Linie ausschlaggebend. An
der Spitze des Stammes stand ein den Versammlungen der Edlen (Kshatra)
und Freien gegenüber rechenschaftspflichtiger König (Raja).
In der Regel war die Königswürde erblich; sie ging jeweils
auf den ältesten männlichen Nachkommen über. Der
König residierte an einem Hof mit Hofstaat. Die Stellung des
Königs hing vom Erfolg in der Kriegführung und Verteidigung
des Stammes ab. Er hatte noch keine Besitzrechte am Land, erhielt
aber bestimmte Anteile an der Kriegsbeute und freiwillige Geschenke
seiner Stammesangehörigen. Abgaben und Steuern waren noch nicht
bekannt.
Eine sehr wichtige Position hatte der Oberpriester inne, denn er
stellte durch seine rituell korrekt ausgeführten Opfer das
Wohlergehen in Friedenszeiten und den Sieg im Krieg sicher. Der
König selbst hatte in der Frühzeit keine religiöse
Funktion; er bestellte die Opfer zum Wohle des Volkes und unterstützte
die Priester bei den Opfern. Später wurden Opferrituale vollzogen,
bei denen der König durch die Vermittlung der Priester mit
besonderen Merkmalen ausgestattet wurde. Das berühmteste derartige
Opfer ist das Pferdeopfer, Ashvamedha, das nur von einem gesalbten
König zur Mehrung seines Reiches und zur Darstellung seiner
Größe dargebracht werden durfte. Bei dem Pferdeopfer
wurde ein besonders geweihtes Pferd freigelassen, um für ein
Jahr, begleitet von einer erlesenen Kriegerschar, frei herumzustreifen.
Die Herrscher der Gebiete, durch die das Pferd kam, waren gezwungen,
ihm Verehrung zu erweisen oder Krieg zu führen. Am Ende des
Jahres wurde das Pferd in die Hauptstadt zurückgebracht und
dort feierlich geopfert. Jeder bedeutende König strebte danach,
ein solches Opfer auszuführen.
Um Haus und Hof kümmerten sich die Frauen. Die Frau war trotz
ihrer angesehenen Stellung dem Mann immer untergeordnet. Ehen waren
üblicherweise monogam (Einehen) und auf Lebenszeit, da über
Ehescheidungen im Rigveda nichts überliefert ist. Auch eine
Wiederheirat der Frau nach dem Tod des Mannes war nicht vorgesehen.
Den später über lange Jahrhunderte praktizierten Brauch
der Witwenverbrennung, wobei die Witwe durch ihre Selbstverbrennung
nach dem Tod des Mannes ihre Treue zu diesem zum Ausdruck brachte,
gab es in vedischer Zeit noch nicht. Nur wenn der Mann kinderlos
gestorben war, konnte die Frau in einer neuen Ehe, zu der ein dem
Verstorbenen nahe verwandter Mann verpflichtet war, einen Sohn gebären,
der dann als Sohn des Toten galt und die unerlässlichen Väteropfer
vollziehen konnte.
Alle schweren Arbeiten wurden von Hörigen (Shudra) und Sklaven
(Dasa, Dasyu) erledigt. Erst in spätvedischer Zeit lebten die
Stämme überwiegend in befestigten Dörfern, aber es
gab keine Städte. Neben Ackerbau war Rinderzucht der wichtigste
Wirtschaftsfaktor. Der Besitz von Kühen war für die frühen
Arier eine Hauptquelle der Nahrung, des Reichtums und der Macht.
Auf Raubzügen wurden vor allem Rinder gestohlen. Das Rind diente
als Zahlungsmittel, und die Belohnung für die Opferpriester
bestand aus Rindern. Bei Opfern wurde zuerst um Rinder und danach
erst um Söhne, Gesundheit und langes Leben gebetet. Wie heute
noch wurden die Kühe von den Indoariern verehrt, Bullen und
Kühe aber bei wichtigen Festen auch geopfert, was heute undenkbar
wäre. Für die Jagd und alle kriegerischen Auseinandersetzungen
waren Pferde unerlässlich. Unter den Haustieren werden Schafe
und Ziegen besonders oft erwähnt.
Pfeil und Bogen waren die häufigsten Waffen. Die vedischen
Indoarier kannten auch das Weben, das Färben sowie das Verarbeiten
von Metallen. Eisen war in der Frühzeit noch unbekannt. Die
Indoarier besaßen aber Bronze- und Kupferwerkzeuge. Bei der
Schmuckherstellung wurde auch Gold verarbeitet.
Hauptnahrungsmittel waren Milch, Gersten- und Weizenbrote, Gemüse
und Früchte sowie bei Festen das Fleisch der Opfertiere. Zwei
Arten von alkoholischen Getränken waren sehr geschätzt
und wurden freizügig getrunken: Die Sura war wohl eine Art
Bier. Besonders beliebt war der Somatrank, der aus einer nicht sicher
identifizierbaren Pflanze gepresst wurde und, weil er angeblich
übernatürliche Kräfte verlieh, vor allem als Getränk
für die Götter geopfert und von den Priestern getrunken
wurde. Als Zeitvertreib war das Würfelspiel wohl am beliebtesten,
weil es im Rigveda am häufigsten erwähnt wird. Außerdem
zogen die Männer sehr gern zu Kriegen und Raubzügen aus.
Die Götter führten ein den Menschen ähnliches, nur
ungleich höheres und besseres Leben. In der alten vedischen
Religion steht eine unpersönliche höchste Macht im Mittelpunkt,
die den gesamten Weltablauf regelt. Ihr stehen die Götter gegenüber,
die zum Teil personifizierte Naturerscheinungen sind wie Agni, der
Feuergott, Surya, der Sonnengott, Ushas, die Morgenröte. Andere
Götter tragen persönlichere Züge. Unter ihnen ist
vor allem Indra zu nennen, der als Gott des Firmaments und Quelle
der Fruchtbarkeit verehrt wird und Regen, Blitz und Donner sendet.
Im Somarausch vollbringt er ungeheure Heldentaten und vernichtet
die Feinde der Götter und Menschen. Neben Indra sind Mitra,
der Vertragsgott, und Varuna, der Eidgott, die am meisten angerufenen
und besungenen Götter des Rigveda. Mit Varuna, der unbegrenzte
Kontrolle über das Schicksal der Menschen hat und als weiser
Hüter der Unsterblichkeit gilt, ist auch der Glaube an die
persönliche Unsterblichkeit verbunden, an das Leben der Seele
nach dem Tode. Der Tote wurde entweder dem Feuer übergeben
oder beerdigt. Die Seele zieht befreit von allen Mängeln ins
Reich der »Väter«, in dem Yama, der erste Verstorbene,
als König herrscht. Alle Götter wurden menschengestaltig
vorgestellt und mit Gesängen und Opfern verehrt. Durch magische
Riten und zauberkräftige Sprüche konnten der Segen und
Schutz der Götter erwirkt werden.
Wirtschaftsformen
und Alltagskultur in spätvedischer Zeit
Zur Brahmanazeit (1000 - 600 v.Chr.) scheinen sich bei den arischen
Stämmen die bodengebundenen Wirtschaftsformen noch nicht ganz
durchgesetzt zu haben. Der Stamm der Vratya wird sogar als nicht
sesshaft bezeichnet, das heißt, die Angehörigen dieses
Stammes lebten noch als wandernde Viehhirten. Die allmähliche
Ausbreitung der Arier über die gesamte nordindische Ebene macht
es wahrscheinlich, dass auch die übrigen arischen Stämme
noch nicht unbedingt fest an einen Ort gebunden waren. Dazu kommt,
dass der Name Kurukshetra, das »Kuru-Gebiet«, der einzige
Ländername ist. Ansonsten werden zur Bezeichnung von Stammesgebieten
immer die Namen der Bewohner verwendet. Diese Art der Ortsangaben
stammt wohl aus einer Zeit, in der die einzelnen Stämme noch
kein festes Siedlungsgebiet hatten.
Einen wichtigen Bestandteil der Ernährung bildeten neben den
Ernteerträgen von bebautem Land wild wachsende Beeren, Früchte
und Getreidearten von unbebautem Land. Die Jagd auf Großwild
war ein Vergnügen des Adels, während die sonstige Jagd
und der Fischfang vor allem eine Beschäftigung der unteren
Schichten gewesen zu sein scheint. Auch in spätvedischer Zeit
blieb die Viehzucht die Haupterwerbsquelle. Im Ackerbau wurden vor
allem Gerste und Reis angebaut. Den Reisanbau übernahmen die
Arier von der einheimischen Bevölkerung. Daneben gab es auch
Hirse, Weizen und Sesam und als Gemüse Hülsenfrüchte
und Kürbis.
Unsere Kenntnisse über das Handwerk in vedischer Zeit stammen
überwiegend aus Texten, da außer Metallgeräten nur
noch geringe Reste von Keramiken erhalten sind. Nach der vedischen
Überlieferung waren die Holzarbeiter noch Zimmermann, Wagner
und Schreiner in einer Person. Ihre Hauptaufgabe war der Wagenbau.
Beim Weben scheint vor allem Schafswolle als Material gedient zu
haben. Die daraus gewobenen Gewänder waren äußerst
wertvoll, dienten als Tauschware und wurden von Priestern als Opferlohn
gefordert. Beim Flechten wurden Stroh, Binsen, Schilfrohr, Bambus,
bestimmte Grasarten, Lederstreifen und Goldblechstreifen benützt.
Daraus wurden Decken, Sitzmatten, Wagenplanen und Körbe hergestellt.
Das Töpferhandwerk war wohl schon gut entwickelt, als die Arier
nach Indien kamen. Ein Indiz hierfür ist, dass nicht nur der
Töpfer als Shudra vom vedischen Opfer ausgeschlossen war, sondern
auch auf der Scheibe gedrehte Gefäße als den Widergöttern
zugehörig im Opfer nicht benutzt werden durften. Nur von einem
Arya mit der Hand modellierte Gefäße waren erlaubt. Die
Metallverarbeitung gewann in spätvedischer Zeit eine besondere
Bedeutung. Neben den Edelmetallen Gold und Silber war als Nutzmetall
zunächst nur das Kupfer bekannt; Bronze war selten, da das
zur Legierung nötige Zinn in Indien kaum vorkommt und deshalb
eingeführt werden musste. In spätvedischer Zeit hatte
Eisen Kupfer als Nutzmetall weitgehend verdrängt. Hergestellt
wurden Gefäße, Messer, Pfeile, Speere, Hämmer, Äxte
und Werkzeuge für Opferrituale.
Die
Religiosität in spätvedischer Zeit
Die
Religiosität dieser Zeit ist noch immer vom vedischen Glauben
geprägt. Jedoch haben sich hier schon entscheidende Änderungen
vollzogen. Die Götter der frühen vedischen Zeit verloren
ihre Macht angesichts der geheimnisvollen Kräfte des Opfers,
des Gebets, der Zauberformeln und der Selbstkasteiung. Das Opfer
wurde zum magischen Machtmittel in der Hand der Brahmanen. Durch
Opferzeremonien und magische Formeln wurden die Götter vielmehr
gezwungen, nach dem Willen der Opferpriester zu handeln. Ein anderes
Mittel, um das zu erreichen, war die Selbstkasteiung und Enthaltsamkeit,
durch die ein weiser Seher große Energien entwickeln konnte.
Jedes Wort und jede Handlung eines Opfers beeinflussten die Wirkung
und den Erfolg eines Opfers. Deshalb wurden die Opferrituale immer
komplizierter und wichtiger; damit gewann der brahmanische Opferpriester,
weil er allein das magische Wissen besaß und den Opferritus
ordnungsgemäß durchführen konnte, eine immer höhere
Stellung in der Gesellschaft. Die notwendigen Texte wurden noch
immer nur mündlich vom Lehrer an wenige auserwählte Schüler
nach vielen Jahren der Prüfung als geheimes Wissen weitergegeben.
Als Reaktion gegen den erstarrten Opferritualismus und den großen
Einfluss der Brahmanen entwickelten sich gegen Ende der 1.Hälfte
des 1.Jahrtausends v.Chr. neue Formen der Religiosität. Ihre
Verkünder waren zum Teil Brahmanen, die den Zusammenhang zwischen
Ritus und Weltgeschehen und den geheimen Sinn des Opferwortes zu
ergründen suchten. Doch auch Kshatriya und die Angehörigen
anderer Stände bemühten sich um die Erkenntnis der höchsten
Dinge.
Am
meisten trug ein vorarisches Element zu dem tief greifenden Wandel
bei, den die spätvedische Religion erfuhr. Dies ist die ursprünglich
schamanische Lehre vom Kreislauf der Wiedergeburten und der Erlösung
aus ihm. Die Seele durchläuft unendlich viele Existenzen, wobei
sie sich immer wieder in einem neuen Dasein verkörpert. Nach
der schamanischen Vorstellung löst sich die Seele in der Ekstase
aus diesem Geburtenkreislauf und gelangt in die Welt der Götter.
Im Rigveda finden wir noch die Vorstellung eines Weiterlebens der
Guten im Reich des Todesgottes Yama, aus dem es keine Wiederkehr
mehr gibt. Was den Bösen widerfährt, bleibt unbestimmt.
In den Geheimlehren der frühen Upanishaden (800 - 600 v.Chr.)
bildete sich die Vorstellung heraus, die Erkenntnis, dass Einzelseele
(Atman) und Weltseele (Brahman) in Wirklichkeit eines sind, führe
zur Überwindung des Geburtenkreislaufs (Samsara). Die Lehre
von der Seelenwanderung war eng verbunden mit der Lehre vom Handeln
(Karma), wonach jede gute Handlung positive Auswirkungen und jede
schlechte Handlung negative Auswirkungen in diesem oder im nächsten
Leben nach sich ziehen.
Richtiges Handeln besteht vor allem in der Erfüllung der seiner
Kaste gemäßen Pflicht (Dharma): Der Brahmane ist verpflichtet,
sich dem Vedastudium zu widmen, zu lehren, Opfer auszuführen
und Geschenke zu empfangen. Für den zum Stand der Krieger gehörigen
König besteht der Dharma in der gesetzmäßigen Ausübung
seines Amtes, der richtigen Politik und Kriegführung, für
die Krieger (Kshatriya) im Beschützen des Volkes, dem Geben
von Geschenken und Ausrichten von Opfern. Die Ackerbauern (Vaishya)
sollen Viehzucht und Handel treiben, das Land bestellen und Geld
verleihen. Die Shudra müssen den drei übrigen Ständen
dienen.
Auch die Götter unterliegen dem Gesetz des Karma. Sie besitzen
im Vergleich zu den Menschen nur eine längere Lebenszeit und
übernatürliche Kräfte. Wenn ihre früheren guten
Taten, deren Ergebnis die Wiedergeburt als Gott war, ihre Wirkung
verloren haben, verschwinden sie aus der Götterwelt, und andere
Götter treten an ihre Stelle.
Die Frage, wie man dem ewigen Geburtenkreislauf entkommen könne,
beschäftigte zahlreiche wahrheitssuchende Menschen. Sie zogen
sich in die Waldeinsamkeit zurück oder führten ein Leben
als Asketen und versuchten durch Meditation und Askeseübungen
den Weg aus dem Samsara zu finden. Diese bis zur äußersten
Grenze der körperlichen und geistigen Anstrengung gehenden
Askesepraktiken sind als Yogaübungen bis heute bekannt. Durch
die neuen Ideen wurden aber auch die philosophischen Spekulationen
angeregt, die in den Upanishaden zum Ausgangspunkt der indischen
Philosophie wurden.

König
Ashoka gehört zu den größten Herrschern der indischen
Geschichte. Ihm widerfuhr das seltene Schicksal, in der Kulturtradition
seines eigenen Landes in Vergessenheit zu geraten.
Und
doch schuf er das erste indische Großreich, das den gesamten
Subkontinent, mit Ausnahme der drawidischen Südspitze des Tamillandes
unter seiner Herrschaft vereinte. Sein Name verschwand bald aus
dem Gedächtnis des Volkes und nur in der buddhistischen Tradition
anderer asiatischer Länder hat man ihn bewahrt und geehrt.
So ist es insbesondere ceylonesischen Chroniken zu verdanken, dass
die Geschichtsschreibung König Ashoka wieder entdeckte, um
nach mehr als zwei Jahrtausenden sein Wirken als König und
Mensch rekonstruieren zu können.
In den
alten Königschroniken (Puranas) wird er als einer von vielen
unter den Königen der Maurya-Dynastie aufgeführt. Außerdem
heißt es dort, daß er 37 Jahre regiert habe.
Die Wiederentdeckung
Ashokas hat ihre eigene Geschichte. Er hatte zwar eine Reihe von
Edikten in Form von Fels- und Säuleninschriften erlassen, aber
die Schrift der meisten Edikte, die Brahmi, kam aus dem Gebrauch
und innerhalb weniger Jahrhunderte konnte sie niemand mehr lesen.
Vom 5. Jahrhundert n. Chr. an benutzten deshalb verschiedene Könige
solche Ashoka-Säulen für eigene Inschriften oder verschleppten
sie zur Verschönerung ihrer Paläste. Erst 1837 gelang
es einem jungen Angestellten der Britisch-Indischen Verwaltung,
James Prinsep, jene alte Schrift zu entziffern. Damit war nicht
nur das Verständnis der Ashoka-Edikte erschlossen, sondern
auch der Weg zur Entzifferung zahlloser Inschriften aus der indischen
Vergangenheit.
Die
Ashoka-Inschriften konnten nun gelesen werden, aber das Rätsel
blieb. Wer war der König, der den Titel Devanampiya (Göttergeliebter)
trug und der sich selbst Piyadassi (der freundliche Schauende) nannte?
Es gab keinen solchen Namen in den Genealogien der alten Dynastien.
Erst
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fand man beim Studium
der alten buddhistischen Chroniken von Ceylon heraus, dass Piyadassi
und Ashoka identisch und lediglich zwei verschiedene Namen für
den dritten König in der Linie der Maurya-Herrscher sind. Der
letzte Beweis für die Identifizierung kam 1915, als eine neue
Inschrift entdeckt wurde, in der sich der König selbst als
Devanampiya Piyadassi Ashoka nannte.
Der legendäre Hain, die Geburtsstätte Buddhas, wurde erst
1898 genau lokalisiert: ca. 3 km nördlich der heutigen Stadt
Bhagvanpur (Nepal). Man fand sogar die 6,5 m hohe Steinsäule
des Königs Ashoka wieder, obwohl sie inzwischen umgestürzt
im Erdreich verschwunden war. Auf der Säule fand man die Inschrift:
„20 Jahre nach seiner Krönung kam König Devanampiya
Piyadassi hierher und bezeugte seine Verehrung, weil der Buddha,
der Weise aus dem Sakja-Geschlecht, hier geboren worden ist. Er
ließ ein Steinrelief und eine Steinsäule errichten, um
anzuzeigen, dass hier der Erhabene geboren wurde“. Später
wurden hier ein Kloster und die Reste eines Steinreliefs ausgegraben,
die wahrscheinlich aus der Zeit von König Ashoka stammen.
In
Benares (heute Varanasi) soll Buddha ebenfalls Einkehr gehalten
haben. König Ashoka ließ hier seine legendären 15
m hohen und 50 Tonnen schweren „blauen Säulen“
aufstellen. Sandsteinmonolithe, die so glatt poliert waren, dass
man sie wegen ihrer blauen Farbe für Metall halten könnte.
Der 5 m hoher Rest einer Säule steht heute noch an seiner ursprünglichen
Stelle im Stadtteil Sarnath, einige Kilometer nördlich von
Benares.
Die
Wiederentdeckung Ashokas fiel zeitlich mit den Anfängen des
modernen Nationalismus und der Unabhängigkeitsbewegung in Indien
zusammen. So ist es nicht erstaunlich, daß nun viele Historiker
über Ashokas Herrschaft schrieben. Seine Ideen zur Gewaltlosigkeit,
die große Beachtung fanden als auch Gandhi sich daran hielt
und die Gewaltlosigkeit als Mittel zur Erringung der Unabhängigkeit
propagierte, und die Tatsache, daß unter König Ashokas
Herrschaft zum ersten Mal in der indischen Geschichte fast der gesamte
Subkontinent politisch geeint wurde, machten Ashoka zu einer Symbolgestalt
des wiedererwachenden Indien. Seit der Unabhängigkeit ist das
Abbild eines Kapitels aus der Inschrift einer seiner Inschriftensäulen
das Amtssiegel der indischen Regierung.
Die Hauptquellen über das Leben Ashokas sind seine eigenen
Edikte und verschiedene buddhistische Texte. Die Edikte enthalten
nur wenige biographische Angaben, sind aber von unschätzbarem
Wert für das Verständnis der Ideen Ashokas. Die buddhistische
Texte dagegen erzählen viele Geschichten über sein Leben.
Die Verfasser dieser Quellen sahen in Ashoka vor allem den großen
königlichen Förderer des Buddhismus in Südostasien.
Geht
man nach diesen Texten, so hat Ashoka die Verbreitung dieser Religion
offensichtlich zur königlichen Regierungsaufgabe gemacht. Sein
Ziel soll es gewesen sein den Buddhismus zur Staatsreligion Indiens
zu machen. Natürlich steht im Vordergrund die Frage warum er
den Buddhismus in aller Form förderte und wieso er sich für
eine so junge Religion begeisterte. Die Antwort auf diese Fragen
ist nicht nur im Leben und Werk Ashokas begründet, sondern
ebenso in den politischen Umständen seiner Zeit, dem 3. Jahrhundert
v. Chr.
Zu den chronologisch gesicherten Ereignissen der altindischen Geschichte
gehört der Feldzug Alexander des großen in das Pandschab
und im Nordwesten des Subkontinents in den Jahren 327 - 325 v. Chr.
Die Auswirkungen des Alexanderzugs waren für Indien nicht bedeutend,
wohl aber ist diese Expedition von höchstem Wert für die
altindische Geschichte.
Die
griechischen und römischen Berichte über den Alexanderzug
erwähnen einen indischen Fürsten Sandrokottos, mit dem
Alexander möglicherweise zusammentraf. Und dieser Sandrokottos
konnte mit Candragupta Maurya, dem Begründer der Maurya-Dynastie,
und dem Großvater Ashokas, identifiziert werden. Candragupta
hatte in jungen Jahren mit Hilfe seines brahmanischen Ratgebers
Kautalya, der später sein Minister wurde, den Nanda-König
von Magadha (Süd-Bihar) gestürzt und um 321 v. Chr. die
Maurya-Herrschaft begründet.
Eroberungszüge
und Machtzuwachs bestimmten die 24 Jahre seiner Regierung, in denen
er den Subkontinent vom Indus bis nach Bengalen unter seiner Herrschaft
brachte. Sein letzter großer Feldzug war gegen Seleukos I
Nikator gerichtet und brachte die Gebiete des heutigen Afghanistan,
Belutschistan und der Makran-Küste in seine Gewalt. Durch eine
Heirat kommt es zu einer friedvollen engen Verbindung mit der Seleukiden-Dynastie,
die ebenfalls noch großen Einfluss hatte.
Candraguptas Nachfolger wurde 297 v.Chr. sein Sohn Bindusara, der
das Reich weiter im Süden bis nach Maisur ausdehnen konnte.
Nach einer anderen Quelle ernannte Bindusara einen anderen Sohn
zum Kronprinzen, doch die Minister bevorzugten Ashoka an ihrer Seite.
Als nach Bindusaras Tod Streitigkeiten in der Erbfolge auftraten,
ist Ashoka als Sieger hervorgegangen, nachdem er seine sechs Brüder
besiegte.
Etwa um 269/268 v. Chr. Bestieg Ashoka den Thron. Im ersten Regierungsjahr
soll Ashoka sehr unbeholfen gewesen sein, konnte dies aber mit seinen
administrativen Fähigkeiten wieder ausgleichen. Seine erste
Aufgabe als Herrscher war heikel. Er wurde nach Taxila, der damaligen
Hauptstadt der Provinz Gandhara (nahe dem heutigen Peshawar), geschickt,
wo ein Volksaufstand gegen einige höhere Beamte stattgefunden
hatte. Ashoka soll Recht und Ordnung bald wieder hergestellt und
dadurch sowohl die Bürger von Taxila, als auch die Beamten
beschwichtigt haben.
Ashoka
war von der Stadt Taxila mehr als begeistert. Die Stadt war zu dieser
Zeit ein Mittelpunkt des Verkehrs zwischen Nordindien und Westasien,
zudem noch ein berühmtes Bildungszentrum. Hier trafen sich
Gelehrte aus allen Schichten und Landesteilen. Ashoka erhielt dort
erstmals Kenntnisse über den Buddhismus.
Über
diese Periode seines Lebens wird in den buddhistischen Quellen von
Ceylon viel gesagt, wohl deshalb, weil hier die Geschichte Ceylons
indirekt betroffen ist. Wir erfahren, daß Ashoka in Ujjayini
Devi, die Tochter eines Kaufmanns, zu seiner Frau macht. Sie gebar
ihm zwei Kinder: den Sohn Mahinda und die Tochter Sanghamitta.
Später schickte Ashoka seinen Sohn nach Ceylon, um die Insel
zum Buddhismus zu bekehren. Einige Historiker zweifeln allerdings
daran, das Mahinda der Sohn Ashokas war und behaupten, dass er der
jüngerer Bruder des Königs war. Die buddhistischen Quellen
Ceylons vertreten jedoch die Meinung, dass er Ashokas Sohn gewesen
ist.
Der
König selber beschrieb seinen Weg zum Buddhismus in einem seiner
Edikte, in dem er berichtete, dass er acht Jahre nach seiner Thronbesteigung
einen Feldzug gegen Kalinga unternahm. Dieses Gebiet war damals
das wohl einzige im nördlichen Indien, daß sich nicht
im Machtbereich der Mauryas befand. Am Ende eines blutigen, erbitterten
Kampfes wurde Kalinga (im heutigen Gebiet von Orissa am Golf von
Bengalen) erobert, wobei den Bewohnern dieses Landes viel Leid zugefügt
wurde. Eine Inschrift berichtet:
...150.000
Menschen wurden deportiert, 100.000 wurden getötet und noch
viel mehr gingen zugrunde. Die Zerstörung und das Leid erfüllten
den König mit Reue. Er fühlte sich nunmehr zum buddhistischen
Glauben hingezogen...“
Außerdem
heißt es: „...Danach aber, nach der Eroberung des Landes
Kalinga, ergab sich Devanampiya dem Studium des moralischen Gesetzes,
der Liebe zum moralischen Gesetz und widmete sich der Belehrung
über die Forderungen des moralischen Gesetzes. Darin zeigt
sich das Bedauern des Devanampiya über die Eroberung des Kalinga-Landes...“
Die
Grausamkeit dieses Feldzuges hatte sein Gewissen belastet. Buddhistische
Quellen berichten, dass ein Mönch namens Upagupta von Mathura
König Ashoka zur Lehre des Buddha bekehrte. Es kam jedoch nicht
zu einer plötzlichen und dramatischen Bekehrung, denn er sagt
selbst, dass er erst nach zweieinhalb Jahren ein frommer Anhänger
des Buddhismus geworden sei.
Tatsächlich
führte er nach dem Kalinga-Feldzug keinen Krieg mehr. Auch
versuchte er die Gewaltlosigkeit in den meisten Lebensbereichen
durchzusetzen. Er verbrachte einige Zeit damit, wichtige Stätten
des Buddhismus zu besuchen. Die häufigen Inspektionsreisen,
die er nun unternahm, dienten sowohl administrativen als auch religiösen
Zwecken.
18 Jahre nach Ashokas Regierungsantritt kam es zu einem bedeutsamen
Ereignis in der Geschichte des Buddhismus: dem 3. Buddhistischen
Konzil in der Maurya-Hauptstadt Pataliputra (heute Patna). Das Konzil
sollte Streitpunkte der buddhistischen Theologie bereinigen und
stärkte den Einfluss der Theravada-Richtung (die alte Lehre),
die in Indien und auf Ceylon dominierend wurde.
Ashoka
nahm an diesem Konzil teil und unterstützte die Theravada-Richtung
bis zu seinem Tod in ihrer Arbeit. Zugleich aber setzte er sich
auch für die Tolerierung anderer Meinungen ein. Es war nie
seine Absicht, den Buddhismus zu verherrlichen oder den ebenfalls
dominierenden Brahmanismus oder irgendeine andere Sekte oder Religion
in dem Vielvölkerstaat zu bekämpfen. Dies konnte er auch
nicht, da der Brahmanismus zu stark war.
Historisch
folgenreicher war die Entscheidung des Konzils, Missionare in verschiedene
Gebiete des Subkontinents und in die Nachbarländer zu entsenden,
womit der Anfang zu einer extensiven Verbreitung des Buddhismus
gemacht wurde. Ashoka schickte seinen Sohn Mahinda nach Ceylon,
wo er Tissa, den König der Insel, bekehren konnte. Tissa nahm
sich Ashoka zum Vorbild und legte sich sogar denselben Königstitel
„Devanampiya“, zu. Für den Rest seines Lebens wurde
Tissa ein Freund und Bewunderer des indischen Königs.
Mahinda
war es auch, der Reisen nach Burma und Siam unternahm, um dort ebenfalls
erfolgreich den Buddhismus zu verbreiten. In Siam, dem heutigen
Thailand, ist so der Theravada-Buddhismus die Landesreligion.


|